Samstag, 22. August 2015

Black Dog Story

Schwangerschaft

Im Oktober 2012 erhielt ich also die alles verändernde Nachricht. Ich war schwanger. Noch ganz am Anfang.

Eigentlich hatte ich meinen Hausarzt aufgesucht, weil ich ein Magen-Darm-Problem zu haben glaubte. Mir war seit einigen Tagen schon durchgehend übel gewesen und langsam kam mir das Ganze äußerst seltsam vor. Doch mein Hausarzt kannte mich bereits seit meiner Kindheit und fragte mich, ob ich denn inzwischen Geschlechtsverkehr hätte, anstatt mir, wie gehabt, direkt Antibiotika zu verschreiben. Das hatte er mich vorher noch nie gefragt. Ich glaubte auch gar nicht an eine Schwangerschaft. Doch ich bejahte die Frage wahrheitsgemäß und so wurde mir erst einmal Blut abgenommen und ein Ultraschall gemacht. Auf dem Ultraschall war nichts zu sehen. Die Ergebnisse vom Bluttest würden in den nächsten Tagen kommen.

Und sie kamen bereits am nächsten Vormittag in Form eines Anrufs von meinem Hausarzt. "Einmal zum Gyn bitte!" Das waren seine Worte. Meine Mutter hatte mitgehört und starrte mich zunächst einfach nur an. Ich machte mich also auf zum Hausarzt, das Dokument mit dem Blutergebnis abholen und dann direkt weiter damit zum Frauenarzt. Es war so unwirklich. Beim Frauenarzt angekommen, stammelte ich leise heraus: "Mein Hausarzt... Bluttest.... irgendwie... schwanger?!" Man bat mich freundlich, im Wartezimmer Platz zu nehmen. Als ich dann zu meiner Frauenärztin ins Zimmer gerufen wurde, wusste ich gar nicht, was ich sagen sollte. Und ich hatte etwas Angst, was sie sagen würde. Doch sie war sehr freundlich. Sie erzählte mir, dass ich Glück hätte, in der Praxis würde eine Hebamme arbeiten und mich neben den ärztlichen Untersuchungen durch die Schwangerschaft begleiten, sollte ich mich für die Schwangerschaft entscheiden. Und da war es zum ersten Mal: jemand hegte Zweifel. Doch ich bezog sofort Stellung für die Schwangerschaft. Alles in mir streubte sich gegen eine Abtreibung. Den Grund hatte ich für den Moment verdrängt. Ich freute mich irgendwie sogar richtig.

Zuhause erzählte ich meinen Eltern sofort ehrlich, was Sache war und zu meiner Überraschung standen sie sofort hinter mir. Zumindest meine Mutter. Mein Vater schwieg, ehrlich gesagt, einfach.
Am Nachmittag folgte dann das unangenehmere Gespräch und zum ersten Mal zweifelte auch ich. An meiner neuen heilen Welt. Als Blondie von der Arbeit kam, fragte er mich direkt, was mit den Blutergebnissen sei und ob ich einen komplizierteren Magen-Darm-Infekt hätte. Ich verneinte. Und seine Augen weiteten sich vor Angst. "Du bist doch wohl aber nicht.... Du bist jetzt nicht schwanger, oder?", hatte er mit zittriger Stimme hervor gebracht. Und ich hatte freudestrahlend mit einem "doch" geantwortet. Dass Blondie daraufhin in Tränen ausbrach und beschloss sein Leben sei damit nun vorbei, verstörte mich extrem. Warum sollte das Leben wegen eines Kindes vorbei sein, erst recht, wenn man sich doch liebte?! Als der Mann, welchen ich für die Liebe meines Lebens hielt, also weinend vor mir saß und mich regelrecht anflehte, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen, bracht für mich eine Welt zusammen, die ich krampfhaft nicht zusammen brechen lassen wollte. Doch ich war stark und schaffte es klar zu machen: "Ich werde dieses Kind bekommen und ich werde diesem Kind seine Mutter sein. Mit Dir oder ohne Dich!" Er war am Boden zerstört. Irgendwie war er vollkommen hilflos. In der Hoffnung, mich doch noch umstimmen zu können, verbot er mir den Mund. Mit niemandem sollte ich über die Schwangerschaft reden, nicht aus seiner Familie, nicht aus unserem Freundeskreis, nicht mit ihm. Versuchte ich in den ersten Wochen der Schwangerschaft doch, mit ihm darüber zu reden, wurde er zuweilen wirklich bissig und fies. Einzig und allein wegen meiner ständigen und anhaltenden Übelkeit hatte er Sorge. Ich nahm in den ersten Schwangerschaftsmonaten 10kg ab. Mein Körper konnte nichts mehr bei sich halten.

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Im November 2011 strafte dann das Leben meinen Vater dafür, dass er nie zum Arzt ging und jahrelang trank. Meine Mutter kam unter Tränen nach Hause. Mich hatte bereits gewundert, dass mein Vater gar nicht daheim war. Doch meine Mutter klärte Blondie, welcher wie so oft ebenfalls bei mir zuhause war, und mich schneller auf, als mir hätte lieb sein können. Ich dürfe mich jetzt nicht aufregen, doch etwas schreckliches sei passiert. "Papa?", hatte ich gefragt und schon gefürchtet, er wäre verstorben. "Er hatte einen Schlaganfall. Er liegt im Krankenhaus. Auf der Intensivstation. Aber er wird schon wieder", waren ungefähr ihre Worte gewesen. Ich weiss es gar nicht mehr, denn ich war plötzlich übermannt von Wut. Purer Wut. Ich gab meinem Vater und dem Alkohol die Schuld und ich konnte und wollte kein Mitleid empfinden. Wenn er nun am Schlaganfall starb, wie meine Urgroßmutter an einem verstorben war, dann würde ich ihn auf ewig hassen. So schoss es mir an jenem Abend durch den Kopf. Und ich regte mich auf. Ich regte mich viel zu schlimm auf.

Die folgende Zeit verbrachte ich fast ausschließlich bei Blondie zuhause. Seine Mutter und Schwester kümmerten sich gut um mich. Zuhause war ich kaum noch existent. Papa hier, Papa da. Meine Mutter hatte gar keinen Kopf für mich und meine Schwangerschaft, so erschien es mir.

Alles hatte sich geändert.

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Sogar Weihnachten verbrachte ich 2012 mit Blondie und seiner Verwandtschaft, statt wie gehabt im Kreise meiner Familie. Und erstmals entwickelte ich einen Hass auf seinen Vater. Denn dieser hielt sich mit seinem Rassismus nicht länger zurück. So beschwerte er sich bei Tisch lautstark, dass sein Enkel keinesfalls so einen dreckigen ausländischen Namen tragen dürfe. Da müsse etwas nordisches her wie "Bullwei". Dann wüssten im Lebensverlauf des Kindes auch immer gleich alle Leute, wer das sagen hätte. Ein guter deutscher Junge trage eben auch einen guten und starken nordischen Namen. Mir wird heute noch schlecht. Neonazis sind halt einfach widerliche Menschen!
Ein Mädchen stand übrigens von Anfang an gar nicht wirklich zur Diskussion. Blondie sei schließlich ein deutscher Mann und habe natürlich die guten männlichen Gene ans erste Kind weiter gegeben. Mehr muss ich dazu hoffentlich nicht sagen.

Im Februar, kurz nach meinem Umzug in die WG, beschloss ich jedenfalls Blondie endlich zu gestehen, dass ich seinen Vater, nach der Nummer an Weihnachten, nie mehr wiedersehen wollte. Für Blondie brach erneut eine Welt zusammen. Dass ich seinen geliebten Vater so ekelhaft und widerlich fand und mich so sehr gegen jedes weitere Zusammentreffen sträubte, konnte er nicht verarbeiten. Und er konnte das Thema nur schwer ruhen lassen.

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Die Schwangerschaft verlief alles andere als ideal, denn der schwarze Hund witterte die beste Gelegenheit, mich erneut zu umarmen und zu liebkosen und mich vollkommen für sich einzunehmen. Blondie litt da extrem drunter. Doch ich hatte mich nicht im Griff. Welche Schwangere hat das schon?! Ich weinte unfassbar oft, wurde aus schier unersichtlichen Gründen wütend, klammerte
 wie noch nie zuvor, ich lies zu wie der schwarze Hund meine liebsten Menschen biss und wurde so schrecklich unsicher, so dass ich kaum noch allein gelassen werden konnte. Wollte Blondie doch einmal weg gehen, bekam ich direkt Panikattacken. Es war für uns beide nicht leicht. Doch für ihn, der all dies gar nicht begreifen konnte, war es besonders hart. Unsere Beziehung erlitt einen Knacks nach dem anderen.

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Als es dann endlich vorbei war, konnten wir beide kaum noch. Wir waren so gut wie am Ende. Blondie begann sogar schon, an seiner Liebe zu mir zu zweifeln. Zur Geburt unseres Sohnes drohten wir also bereits zu zerbrechen.

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