Sonntag, 20. Januar 2019

5 Minutes of Honesty

Ich bin egal.

Aber wem? Den Leuten in meinem Umfeld sicherlich nicht. Und natürlich, bei den Menschen von Bedeutung sorgt diese Aussage direkt für einen Protestschrei: "Nein, bist Du nicht.", "Girl, bist Du nicht.", "Ich will Dir nur eben schreiben, dass Du nicht alleine bist [...] und Du bist auch nicht egal!", und ich verstehe die Motivation hinter all diesen Aussagen. In diesem Mikrokosmos der Freundschaft habe ich eine Bedeutung erlangt - was auch immer diese sein mag. Und scheinbar löst die Behauptung, ich sei egal Bestürzung und Besorgnis aus. Wahrscheinlich schwingt immer ein wenig die Angst mit, ich könnte erneut in den tiefsten Untiefen meiner Psyche gefangen sein. Und ja, eventuell bin ich das auch. Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, es gäbe keine Phantasien. Ich mit aufgeschnittenen Pulsadern. Ich, wie ich mich von einer Brücke fallen lasse. Doch es bin nicht ich, die ich da sehe. Es ist ein ausgemergeltes, müdes Mädchen, dessen Haare im Wind des Falls um sie wehen. So sehe ich nicht aus. Zumindest nicht äußerlich. Und es sind bloß Gedanken. Bloß Bilder in meinem Kopf, die kommen und gehen. Ich nehme sie zur Kenntnis und ziehe weiter in diesem irdischen Seelengefängnis, welches wir Leben nennen. Ich tue mir nichts an. Ich werde mir nichts antun. Nichts, was ich in solchen Momenten sehe, ist real oder wird ohne mein Zutun Realität werden.

Und dennoch denke ich, dass ich egal bin. Nicht wirklich von Bedeutung. Außerhalb dieses Mikrokosmos von Freundschaft, welcher auch stets in Wandlung ist und manchmal kaum existent zu sein scheint, weil wir eben doch alle in erster Linie natürlich unser eigenes Leben führen. Ein Umstand, den ich für gut und richtig halte. Mich soll niemand ins Zentrum seines Lebens stellen außer einer Person: meiner selbst. Doch wenn ich mich selbst nicht ins Zentrum stelle, dann entziehe ich mich folgerichtig auch dem letzten bisschen wahrhaftiger Bedeutung und bin egal.

Versteht ihr, es ist nicht entscheidend, ob irgendwer meinem Leben in seinem Leben ein Fitzelchen an Bedeutung zukommen lässt. Es ist entscheidend, was man selbst sich an Bedeutung zukommen lässt. Und ich bin stolz auf jeden einzelnen von euch, der in seiner Existenz eine Bedeutung zu sehen vermag. Das ist ein wertvolles Gut, welches ihr euch unbedingt erhalten solltet. Und natürlich ist es zunächst einmal schön, von jemand anderem als sich selbst für bedeutsam erklärt zu werden. Doch wenn wir tief in uns hinein horchen, dann wissen wir, das ist ein zweischneidiges Schwert und so sehr es uns auch gegen unsere eigenen Dämonen zu verteidigen vermag, so tief und bitter schneidend kann es sich auch gegen uns wenden und die schmerzlichsten Wunden auf der Seele hinterlassen. Vielleicht, vielleicht weil all diese Wunden und Narben zu tief sitzen, entsteht der Wunsch danach, wirklich, tatsächlich egal zu sein.

Ich weiß es auch nicht. Dieser Text mag verwirrend sein, weil auch ich verwirrt bin und nicht verstehe, was genau ich eigentlich gerade fühle und wieso es so einen Stellenwert in meinem Bewusstsein einnimmt. Vielleicht versteht es ja jemand. Vielleicht auch nicht.

Ich bin müde, muss mich anziehen, losgehen zur Arbeit...

Doch mich begleitet die Gewissheit: auch diese Tage werden vorbei gehen und aus grauer Leere wird neue Hoffnung wachsen. So war es immer, so wird es wieder sein.

Mittwoch, 16. Januar 2019

5 Minutes of Honesty

Generation Beziehungsunfähig
Monogamie ist auch bloß eine Ideologie

«Wir sind jetzt alle in polygamen Nicht-Beziehungen:
jeder f*ckt jeden, man muss bloß offen drüber reden.»

Momentan begegnen mir die Themen "Beziehung", "sexuelle Ausrichtung" und "Treue" immer wieder. Und ich bin stets aufs Neue überrascht, wie divers und vielfältig dieses Thema inzwischen geworden ist - und wie feindlich sich die einzelnen Lager doch gegenüberstehen. Toleranz ist wie so oft mehr Schein als sein. Leben und leben lassen, nur eine Floskel, die am ehesten greift, wenn die Lebensphilosophien übereinstimmen.

Doch ich finde es sehr interessant, den Menschen in meinem Umfeld zu lauschen, wenn sie diese Thematik auf den Tisch bringen. Wir sind nun alle Anfang bis Mitte Zwanzig und Partnerschaft wird immer zentraler für uns. Und scheinbar haben wir alle sehr unterschiedliche Konzepte davon, was das eigentlich bedeutet.

Natürlich gibt es immer noch die recht klassische Einstellung: zwei Menschen, meist Mann und Frau, verlieben sich, leben in einer monogamen Beziehung, in der Untreue ein Tabu ist und heiraten schließlich, wenn sie sich sicher sind, das Leben gemeinsam bis zum Ende führen zu wollen. Es folgt die Familienplanung und aus Eheleuten werden Eltern.
Eigentlich eine sehr romantische Herangehensweise an das Thema Partnerschaft. Die Sehnsucht nach lebenslanger Bindung und gemeinsamer Fortpflanzung. Ich kann sie gut verstehen. Manchmal träume auch ich davon. Mann, Kinder, Heirat, Glückseligkeit. Doch dann kommt es mir vor, als sei das alles bloß Illusion und lediglich anderen vorbestimmt.

Glückseligkeit. Diese bedeutet für jeden von uns etwas anderes. Für viele spielt das Thema Ehe immer weniger eine Rolle in ihrem Leben. «Ich kann meinen Partner auch ohne Ring am Finger und vor allem ohne Eheschliessungspapiere lieben.» Und ja, natürlich kann man das. Sehr gut sogar, würde ich behaupten. So sagte eine Freundin letztens, sie  könne gern ihr ganzes Leben verlobt sein, ohne je die Ehe ausüben zu müssen. Und ihre Argumente waren gut. Die Verlobung an sich sei schließlich bereits die Kundgebung der Absicht, das Leben gemeinsam verbringen zu wollen. Sollte jedoch diese Absicht sich eines Tages ändern, kommt es nicht zu den Unannehmlichkeiten einer Scheidung. Es ist weiterhin eine ganz einfache Trennung. Naja, einfach. So einfach wie Trennungen nun einmal sind.
Schnell herrschte bei allen an der Diskussion beteiligten die Einigkeit darüber, dass die Ehe doch eher zweckdienlich ist, wohingegen die Verlobung ein Bekenntnis sei. Die Ehe hingegen dient steuerlichen Vorteilen und sei eher etwas, was für uns im höheren Alter nach jahrzehntelanger Beziehung zur finanziellen und rechtlichen Absicherung des Partners dienlich werden könnte und sollte.

Ehe also erst ab 50+? Ja, damit kann ich mich anfreunden. Doch was liegt davor?
Idealerweise Jahrzehnte an bereits geführter Partnerschaft. Angesichts meines Alters von 26 Jahren würde das jedoch bedeuten, ich müsste diesen Partner auch schon in den nächsten Jahren ausfindig machen. Irks, Zeitdruck. Eine tickende biologische Uhr. Und die der Beziehungsthematik oft anhängende Frage: und was ist mit Kindern?

Ja, was ist eigentlich mit Kindern? Scheidungskinder werden immer häufiger, Alleinerziehende sowieso und immer mehr Kinder leben in Pflegefamilien. Mein Sohn ist eines dieser Kinder. Er lebt nicht mehr bei mir, schon gut zwei Jahre nicht mehr. Er ist in Pflegschaft. Bei seinen Großeltern, meinen Eltern, sieht diese als seine Eltern an und bezeichnet sich auch ganz klar als deren Kind, nennt mich jedoch immer noch "Mama". Für viele, auch in meinem Freundeskreis, eine befremdliche Konstellation und nicht selten werde ich gefragt: "Und wann holst Du ihn zu Dir zurück? Wirst Du ihn denn überhaupt zu Dir zurück holen?" und um dem Thema zu entgehen, lautet meine Antwort dann zumeist "ich weiß es nicht". Dabei weiß ich es eigentlich recht genau. Ich liebe meinen Sohn und er ist ein wundervoller, intelligenter Junge, der bestimmt einmal ein toller Mensch wird. Doch ich möchte ihn nicht zu mir zurück nehmen. Ich bin nicht gut für ein Kind. Erst recht nicht ich alleine. Dafür sind meine schlechten Phasen noch zu häufig und zu prägnant und er zu wertvoll und schützenswert. Hinzu kommt, offen gesprochen, dass wir unsere Leben von einander getrennt haben. Er lebt sein Leben mit seinen (Groß-)Eltern, seinen Kindergartenfreunden und allen zwei Wochen dem Papa und ich lebe mein Leben mit der Arbeit, Freunden und meinem Kater. Zwar bin ich bestrebt, wieder mehr Zeit mit dem Kind zu verbringen, doch ich strebe nicht danach, unsere Lebenswege erneut zu verschmelzen. Er übrigens auch nicht! Und seine Meinung dazu ist mir durchaus wichtig.
Ich habe mit dem Thema Familienplanung tatsächlich abgeschlossen. Manchmal, wie gesagt, träume ich noch von dem Ideal "Mann, Kinder, Heirat, Glückseligkeit", doch Ideale sind Ideale und eigentlich weiß ich: ich will all meine Erfahrungen rund um das Thema Partnerschaft und Kind keinesfalls erneut durchleben müssen und der sicherste Weg dies zu verhindern, ist dem Thema Kinder ein für alle Mal abzuschwören. Nicht selten denke ich sogar ganz bewusst über eine Sterilisation nach - leider kein sehr günstiges Vergnügen. Und ein Thema, was häufig auf Gegenwehr im Bekanntenkreis stößt: "Bist Du Dir da ganz sicher?", "Aber Kinder sind doch so etwas tolles! Und mit dem richtigen Partner..." oder mein Favorit: "Was machst Du, wenn Du deinen Traummann kennenlernst und er unbedingt noch eigene Kinder möchte, Du jedoch nicht mehr zeugungsfähig bist?" Dumme Antwort: "Eben nicht seine Traumfrau sein", ganz einfach. Und ja, es ist so einfach. Denn wohl wichtigster Bestandteil der festen Partnerwahl ist es, gegenseitig herauszufinden, ob Ideale und Zukunftsvorstellungen korrespondieren oder nicht zu vereinbaren sind, so dass eine Partnerschaft langfristig sinnlos ist.

Feste Partnerwahl, langfristig. Ich weiß schon jetzt, dem einen oder anderen stehen bei diesen Worten die Nackenhaare zu Berge. Bindung ist beängstigend. Sie ist fragil. Sie ist Pflege intensiv. Und sie ist, wie das Wort an sich bereits ausdrückt: verbindlich. Ein Umstand, der heute vielen nicht mehr in ihr Konzept vom Leben passt. Wir wollen ungebunden sein und frei. Frei zu tun und lassen, was uns gefällt und unserem eigenen Leben dienlich ist. Wir sind Egoisten. Kompromissbereit nur so lange es angenehm bleibt. Wird es schwierig, nehmen wir den Notausstieg. Beziehungen werden am besten gar nicht mehr als solche definiert. Das Wort "Beziehung" zum Unwort erklärt. So etwas will man nicht. Das Leben ist ernst genug, warum sollte auch die Liebe es sein oder gar die eigene Sexualität? Und so geben sich immer mehr der Oberflächlichkeit des Datings oder kurzer Affären hin.
Auch ich lande ständig in dieser Spirale aus Kennenlernen, Zeit verbringen, igitt Gefühle und Tschüss. So hält keine meiner natürlich nicht als solche definierten Beziehungen länger als drei bis vier Monate. Es sind alles nur kurze Kreuzungen von Lebenswegen. Für den Moment sehr befriedigend, das gebe ich zu, und nicht selten bereichern einen diese Begegnungen auch um wertvolle Lebenserfahrungen. Und doch ertappe ich mich am Ende doch bei dem Gedanken: wie schön, wenn das länger gehalten hätte und dieser Mensch noch immer Teil meines Lebens wäre. Bis man ihn oder sie verdrängt und weiter zieht - ins nächste dreimonatige Abenteuerchen.
Dabei klingt vor allem eines durch: die Sehnsucht nach dem, welchem man sich so fleißig verschließt - Bindung, Verbindlichkeit, echte Partnerschaft, gemeinsam durch dick und dünn zu gehen: eine ganz klassische, langfristige Beziehung zu führen.

Und manche tun das. Sie leben eventuell sogar zusammen. Haben schon einige gemeinsame Jahre verbracht. Kennen einander gut. Und dennoch betrachten sie sich nicht als Teil einer festen Bindung - sie leben ihre Beziehungen offen. Es gibt weitere Partner in diesen Konstrukten - mal mehr mal weniger fest verankert. Den einen nur zum Spaß, für Sexuelles. Den anderen liebt man vielleicht sogar ein wenig. Aber den Kern bildet das schon lange vorhandene: die offene Beziehung zweier Menschen, die, um dieses Konzept tatsächlich so leben zu können, ehrlich miteinander sein müssen, vertrauensvoll und tatsächlich in Liebe zu einander verbunden. Und dennoch, behaupte ich, wird es durch diese Lebensweise zu Verletzungen kommen, auf beiden Partnerseiten. Es wird zu Eifersucht und Streit kommen. Denn Eifersucht, Streit und Verletzung sind ganz normale Bestandteile einer jeden zwischenmenschlichen Bindung - shiet egol, als was ich diese definiert haben mag.
Leider ist dieses Konzept von Zwischenmenschlichkeit oft von der kompletten Ablehnung der Monogamie als bloßes Ideal und Widernatürlichkeit geprägt. Es ist also trotz all seiner Offenheit recht intolerant gegenüber dem vermeintlich Rückschrittlichen. Nicht selten kommt es so zur intellektuellen Ausgrenzung derer, die Verfechter der oben umschriebenen klassischen Beziehungskonzepte sind. Sie gelten als konservativ und verblendet und ihnen wird nur wenig Positives entgegengebracht.

Was jedoch essenziell wichtig ist in einem offenen oder gar polygamen Partnerschaftskonzept ist die Gleichberechtigung aller Beteiligten. Mann muss dürfen, was Frau darf. Frau muss dürfen, was Mann darf. Darf der eine zu Dates gehen, darf es auch der andere. Darf der eine mit anderen Menschen schlafen, darf es auch der andere. Darf der eine mehrere Partner haben und auch lieben, so darf es auch der andere. Es ist die Verabschiedung von der Betrachtung des ursprünglichen Partners als persönlicher Besitz und Subjekt, welchem gegenüber man individuelle Ansprüche hat.
In der Theorie klingt das erst einmal sehr befreit und tolerant.
In der Praxis und Umsetzung ist es eines der wohl kompliziertesten und beanspruchensten Konzepte von Partnerschaft, die der Mensch sich bisher erdacht hat. Es erfordert ein Höchstmaß an Kommunikation unabhängig ihrer Ausrichtung, es erfordert ein Höchstmaß an Vertrauen und Feingefühl im Umgang mit anderen Menschen, außerdem sind Ehrlichkeit und stete Offenheit unerlässlich. So wird aus der vermeintlich errungenen großen Freiheit schnell ein Problem und mag der eine noch glücklich und überzeugt sein von Offenheit und Polygamie, so mag der andere diese längst verfluchen. Und es erscheint mir ebenfalls als ein eher kurzlebiges Partnerschaftskonstrukt. Wenigstens für diejenigen an der Partnerschaft beteiligten, die nicht die ursprünglichen Partner des Ganzen sind.

Vielleicht, so scheint es mir manchmal, ist es doch das Single-Dasein, welches das Leben am einfachsten macht. Natürlich bietet auch dieses Nachteile wie gelegentlich auftretende Einsamkeit und das Vermissen eines Menschen zum Kuscheln und Liebhaben. Aber wie eine Arbeitskollegin es letztens so schön sagte: Warum kaufen, wenn man leasen kann? Sie zog damit eine recht schöne Analogie zwischen Autokauf und Partnerwahl. Denn was man mangels Partnerschaft vermissen mag, kann man sich meist auch ohne jegliche Bindung irgendwie beschaffen - sei es ein One-Night-Stand mit einer Diskobekanntschaft oder ein kuscheliger Filmabend mit einem Freund oder einer Freundin.

Wir leben in einer Zeit großer Diversität und theoretisch ist alles möglich. Es sind lediglich die Ideale in unseren Köpfen, die uns davon abhalten mögen, unser eigenes Beziehungsideal zu schaffen und zu verfolgen. Und auch die Loslösung von jeglichen Idealen getrost dem Motto "Ich nehme die Dinge jetzt einfach wie sie kommen" ist keineswegs ein schlechter Weg. Egal welchen Pfad man auf dem Weg zum eigenen Glück beschreitet, gerade dem zum zwischenmenschlichen Glück, das Wichtigste auf dieser Reise ist und bleibt die Treue sich selbst gegenüber und die Akzeptanz, dass jeder Mensch verschieden und dennoch gut ist, so wie er ist.

Dienstag, 15. Januar 2019

5 Minutes of Honesty

Black Dog Story

In vielen vielen Kapiteln habe ich dieses Kapitel meines Lebens geschildert. Wie es dazu kam, was es mit mir emotional gemacht hat. Und doch habe ich nie das Ganze Ausmaß zugeben können. Denn eine Stimme in meinem Unterbewusstsein flüsterte stets: "So viel kannst Du nicht preisgeben. Sie werden es nicht verstehen." Und damit meine ich nicht die immer wiederkehrenden Suizidgedanken, das Verlangen, sich selbst abzustrafen, turbulente zwischenmenschliche Beziehungen, emotionale Abkapselung, Angst oder sonstige offensichtliche Begleiterscheinungen von Depressionen und/oder einer Borderline Persönlichkeitsstörung. All diese Dinge habe ich stets offen adressiert. Warum auch nicht? Sie sind zwar Bestandteil des Ganzen und beeinflussen sicher auch hier und da mein Leben - natürlich tun sie das. Doch sie sind längst nicht mehr Teile meines Alltags. Ich habe Distanz zwischen mir und all diesen Symptomen schaffen können in den letzten Jahren harter Arbeit an mir selbst und meiner Psyche. Und aus der Distanz habe ich offen sein können, offen schreiben können. Damit habe ich zwar niemanden hintergangen oder belogen, außer eventuell mich selbst bezüglich meiner Offenheit. Doch ich habe ein Thema stets umgangen: die Auswirkung der Krankheit(en) auf meinen Alltag. Die omnipräsenten Auswirkungen.

Ich habe nie darüber gesprochen, dass es mir manchmal über Wochen hinweg nicht möglich ist zu duschen, weil ich den Anblick meines nackten Körpers in seiner Gänze nicht ertrage. Stattdessen ist es mir in solchen Phasen lediglich möglich, mich an einem Waschbecken zu waschen, bedeckt mit Kleidung. Das bedeutet, ich halte mich zwar sauber und pflege mich - ich mache dies zeitweise aber nicht, wie es gesellschaftlichen und sozialen Standards entspricht. Und das ist unangenehm. Das ist peinlich. Das ist eine Tatsache, die kaum ein anderer Mensch verstehen können wird. Es ist nur schwer verständlich, dass jemand eine warme Dusche als solches zwar genießen und mögen, jedoch wochenlang schmähen kann, weil der eigene Körper einen anwidert. Umgekehrt ist es für mich kaum vorstellbar, dass dies nicht der Fall sein kann. Ich bin Verhaltensgestört. Seit Jahrzehnten. Warum? Ich war schon als Jugendliche zum einen stark übergewichtig, den geltenden Schönheitsstandards nach zu urteilen kaum ansehnlich, wurde offenkundig "hässlich" und ein "dickes Ding" genannt. Zum anderen war mir die Nutzung der heimischen Dusche maximal zwei Mal die Woche gestattet und irgendwann traute ich mich nicht mehr darunter. Ich entwickelte Angst. Und Angst lähmt. Angst erzeugt Muster. Ungesunde Muster.

Ich habe auch nie darüber gesprochen, dass ich essgestört bin. Nein, keine Magersucht. Keine Bulimie. Aber ein gesundes Essverhalten kannte ich eben auch nie. Ich esse keine drei Mahlzeiten und zwei Zwischenmahlzeiten am Tag. Meist gibt es, wenn überhaupt nur eine richtige Mahlzeit am Tag. Der Rest ist Scheiße, die man eben so in sich reinstopft. Hier was Süßes, dort eine "Kleinigkeit", tagelang nur Käsebrot, Fertiggerichte noch und nöcher. Und ich weiß es besser. Ich weiß, was eine gesunde Ernährung ist. Immer wieder habe ich klare Phasen. Frühstücke gesund, esse etwas Obst, bereite mir ein frisches Mittag mit viel Gemüse, esse kein Fleisch, verzichte auf Milchprodukte und esse rechtzeitig zu Abend. Doch das hält nie länger als ein paar Wochen. Meist nur Tage. Nicht weil es mir nicht schmeckt, nicht weil es mir nicht gut tut - es kostet mich zu viel Energie.

Ich habe auch nie darüber gesprochen, wie sehr ich Sport eigentlich mag und das ich trotzdem so gut wie nie trainiere. Ja, ich, die den Sportunterricht immer als Geißel empfand, mag Sport. Ich trainiere gern im Fitnessstudio, ich mag Geräte-Krafttraining, mag das Laufband, mache gern Yoga und gehe gern an meine körperlichen Grenzen - wenn ich die Energie dazu finde. Aber Energie besitze ich kaum. Viel lieber verweile ich in meinem Bett. Nein, nicht lieber. Ich hasse es. Ich hasse diese Tage, an denen es sich anfühlt, als würde ich niemals aufstehen können. Ich hasse mich für meine Energielosigkeit. Und doch gebe ich mich dem regelmäßig hin - bin froh, wenn ich mal drei Tage am Stück Yoga Übungen mache. Ein Umstand, der leider kaum vorkommt.

Doch es ist nicht, als würde ich meine Gesundheit ignorieren. Ich gehe freiwillig zu Gesundheitschecks, mache freiwillig Untersuchungen mit. Ich will wissen, wie es gesundheitlich um mich steht. Etwas Gutes, oder? Sicher. Doch ich neige zu überspitzten Reaktionen. Leicht erhöhter Blutdruck, ein etwas erhöhter Blutzuckerspiegel, ein zu hoher BMI? Warum geh ich mich nicht einfach begraben?! Bin doch eh so gut wie tot. Oder nicht? Ja, es grenzt an Hypochondrie. Etwas, wogegen ich bewusst ankämpfen muss. Nicht jede Diagnose ist ein Todesurteil, um Himmels Willen!

Ich habe auch nie darüber gesprochen, dass ich kaum richtige Freundschaften führe. Ich lade so gut wie nie jemanden zu mir ein - noch viel seltener nehme ich Einladungen an. Es gibt nur sehr wenige Leute, deren Wohnungen ich bisher überhaupt betreten habe - viele davon bisher höchstens ein oder zwei Mal, teilweise trotz jahrelanger Freundschaft. Es gibt nur sehr sehr wenige Orte, an denen ich mich nicht nur wohl sondern auch wirklich willkommen fühle. Und zuhause? Das ist mein kleines, meist chaotisches, unordentliches und bestimmt nicht auf Hochglanz poliertes Reich. Bis vor wenigen Monaten weder wirklich bewohnbar, geschweige denn in irgendeiner Weise vorzeigbar. Und obwohl ich hier nun schon fast fünf Jahre wohne, habe ich vor etwas mehr als einer Woche erstmals zu einem Sit-In bei mir geladen. Und verdammt, war ich anfangs nervös!

Ich habe auch nie darüber gesprochen, dass es mir nicht möglich ist, Leuten während Unterhaltungen in die Augen zu schauen. Für gewöhnlich ein Umstand, der schnell als unhöflich gedeutet wird. Von mir jedoch keineswegs als Unhöflichkeit gedacht ist. Doch Augen verraten dem Gegenüber so vieles. Sie sind bekanntlich das Fenster zur Seele. Und das ist ein Fenster, durch welches bitte niemand blicken soll. Ich habe Angst vor ihren Blicken. Gehe davon aus, was sie sehen würden, schreckt sie ab. Nicht eine Sekunde denke ich, meine Seele könnte etwas schönes, betrachtenswertes sein. Ich vorverurteile sie als abstoßend und verberge sie durch Blicke in die Leere. Genau wie ich Leute nicht von mir aus begrüße unter der Prämisse, andere könnten mich eh nicht mögen. Stattdessen warte ich auf den ersten Schritt durch die anderen, die kleinste Bestätigung ein "Hallo" könnte wünschenswert oder aber wenigstens okay sein. Und wirke auch dadurch schlicht distanziert und unhöflich. Was ich gar nicht bin.

* * * * *

Lieber Leser, Du siehst nun also endlich auch diese Seite der Medaille. Den völlig verkorksten Alltag, den ich erlebe. Die konstante Herausforderung, nicht aufzufliegen, nicht allzu verrückt zu wirken, nicht zu viel preis zu geben von der Entrücktheit meines Lebens. Sicher gibt es noch mehr Aspekte in diesem Zusammenhang, die mir nicht so bewusst sind. Es ist nie einfach, sich diese Dinge ins Bewusstsein zu rufen, sich selbst einzugestehen: Du bist definitiv anders als die anderen Kids. Andererseits kann nur das Erreichen eines Bewusstseins ein Schritt zur Besserung sein.

Ich habe jetzt angefangen, ein so genanntes Bullet Journal zu führen. Ich habe mir in diesem schriftlich und verbildlicht Jahresziele gesteckt, zB die Teilnahme an einem Halbmarathon, um meinen Elan zum Training zu gehen zu stärken oder einen Besuch im Hochseilgarten, um meine Höhenangst zu besiegen. Desweiteren beobachte ich nun mit Hilfe eines Health Trackers ganz genau meine Verhaltensweisen; trage ein, an welchen Tagen ich genug getrunken habe, ob ich Obst/Gemüse gegessen habe, ob ich Alkohol getrunken oder genascht habe, ob ich Yoga oder anderen Sport gemacht habe und ob ich Zeit mit meinem Kind verbracht habe, welches nun schon gut zwei Jahre nicht mehr bei mir lebt. Das hilft mir, mein Leben in den Griff zu bekommen und meinen Alltag zu normalisieren. Ich muss mir mein Selbstbewusstsein erst noch schaffen. Und dazu sind jegliche Hilfsmittel erlaubt. Es ist nie zu spät, den Anfang zu wagen und auch der 500ste Anfang ist noch immer ein legitimer Schritt in die richtige Richtung.

"Es geht nur voran, niemals zurück", ein wichtiges Mantra, welches Freunde mir in den letzten Monaten eingeprägt haben.

Montag, 14. Januar 2019

5 Minutes of Honesty

Demaskierung

Ja, ich weiß. Das Internet ist dazu da, sich selbst besser darzustellen, als man ist. Auf Instagram laden wir nur die besten Bilder unserer tollsten Tage hoch. Auf Facebook posten wir idealerweise nur, wenn es uns gut geht oder wir unseren Post wenigstens belustigend finden - manchmal würzen wir unser Profil auch mit ein wenig Gesellschaftskritik. Doch grundsätzlich tragen wir Masken. Auch ich. Obwohl ich diesen Blog seit Jahren so demaskiert wie möglich schreibe, gehöre ich doch zu den Menschen, die sich in Social Media hinter der Maske des "besseren Lebens" verkriechen. Vielleicht ein Prozess, der ganz normal ist. Nichts verwerfliches.

Doch dieser Blog ist anders: Ich zeige meine Schattenseiten. Weshalb? Weil ich weiß, dass es nicht allein meine Schattenseiten sind. Nicht nur ich kämpfe mit all diesen Dämonen. Und manchmal ist es das beste, das hilfreichste zu wissen, dort draußen ist noch jemand und schlägt dieselben oder aber wenigstens ähnliche Schlachten. Das kann Kraft geben, Mut machen. Und das war immer mein Ziel und wird es hoffentlich auch bleiben.

Fällt mir das leicht?
Nein.

Diese Frage beantwortet sich alleine schon durch die Frequentierung meiner Uploads. Alle paar Monate mal ein oder zwei Posts zu irgendeinem Thema, wenn ich es selbst nicht mehr mit der Belastung aushalte und sie mir von der Seele tippen muss. Manchmal über Monate hinweg nicht ein einziges Wort von mir. Eine Zeit lang glaubte ich, das Ende dieses Blogs sei längst gekommen. Ich begann über irgendetwas zu schreiben, was regelmäßig thematisiert werden sollte und verlor doch nach wenigen Posts, wenn es denn zu mehreren kam, erneut jeglichen Elan. Dabei hatte ich ganz vergessen, weshalb ich diesen Blog eigentlich führe. Um mir und anderen zu helfen. Zwischenmenschlich. Ehrlich. Offen. Und manchmal ist man zu dieser Form von Kommunikation eben einfach nicht in der Lage. Manchmal ist mir ja selbst die Alltagskommunikation zu viel - gerade jetzt als Kundenberaterin im Callcenter, den halben Tag telefonierend, obwohl ich privat nichts schlimmer finde als Telefonate. "Verlass doch mal deine Komfortzone", ist aus meiner Sicht häufig also eher ein schlechter Witz. In jener bewege ich mich nämlich kaum noch und das sieht man mir auch an. Ich habe stärkere Acne im Gesicht entwickelt als jemals zuvor - nichtmal in den intensivsten Pubertätsjahren brüllte mein Gesicht so sehr nach Anti-Pickel-Pflege. Und es braucht niemand glauben, dass das nicht an mir nagen würde. Ich habe bloß einfach beschlossen, dagegen zu unternehmen, was ich kann und der Rest sind andere Baustellen, bei welchen ich noch nicht weiß, wie ich sie überhaupt angehen soll. Mich beschäftigt schon wieder so vieles im Leben und ich frage mich schon wieder: Wo ist mein verdammtes Ventil?

Es ist hier. Genau hier. Du liest es gerade. Ich habe es mit Inhalt gefüllt. So offensichtlich und doch schon wieder aus meinem Bewusstsein gestrichen gewesen. Stattdessen omnipräsent die Frage: was tue ich gegen diese verdammten Depressionen? Wohin mit meinen negativen Gedanken und Gefühlen? Wohin mit meinem Stress, den Schlafstörungen, den Herausforderungen - mental und physisch? 

Hier hin. In meine Komfortzone. Denn Schreiben bedeutet Komfort für mich. Schreiben bedeutet Sicherheit. Schreiben bedeutet die Möglichkeit zu haben, alles zum Ausdruck zu bringen, was mich so beschäftigt. Was die Leute dann im Nachhinein aus dem von mir Geschriebenen machen - das ist ihre Sache. Es wird immer jemand anstoß nehmen in den Worten, die wir für unsere Geschichten wählen. Doch dieser jemand ist nicht wichtig. Er kann wichtig werden, ist seine Argumentation eine konstruktive. Doch der rein destruktive Aggressor wird niemals Wichtigkeit in meinem Denken und Sein erlangen - nicht mehr.

Ich denke, also bin ich. Doch ich weiß, dass ich nichts weiß. Descartes und Sokrates - zumindest schreiben wir letzterem diesen Ausspruch zu. Zwei große Philosophen, große Denker. Und zwei Aussprüche, die fast jeder kennt. Ich bin ich, weil ich denke. Meine Gedanken definieren mich. Doch sie sind kein Wissen. Denn eigentlich wissen wir nichts. Der Kosmos baut sich auf aus Wahrscheinlichkeiten. Alles kann sein, muss es aber nicht. Es ist ein riesiges Geflecht aus existent und nicht existent, doch beides möglich. Das Prinzip von Schrödingers Katze gilt nicht etwa bloß für das süße Mietzekätchen im Karton, von dem man erst bei Öffnen des Kartons wissen wird, in welchem Zustand des Seins es sich befindet - tot oder lebendig - nein, das Prinzip von Schrödingers Katze gilt für alles, was in einer Hülle verborgen liegt. Weshalb ich meine Briefe gern als Schrödingers Post bezeichne, mein Briefkasten ist Schrödingers Briefkasten und eigentlich fasse ich bloß den Mut, hinter die Fassade von irgendwas zu blicken, weil ich der unsicheren Wahrscheinlichkeiten überdrüssig geworden bin und lieber wissen möchte, ob das verdammte Vieh nun tot oder lebendig ist. Das bedeutet Wissenschaft. Die Wissenschaft ist sich ob der unendlichen Wahrscheinlichkeiten bewusst und versucht so viele Kartons wie möglich zu öffnen, um zumindest das begrenzte Wissen, welches uns als gesichert gilt, zu erhalten. Und so bin ich in den letzten Monaten langsam aber sicher zum Wissenschaftler meines eigenen Lebens geworden. Ich öffne diese verdammten Boxen nun. Ich schaue hinter die Fassaden und die Masken. Ich mache aus unsicheren Wahrscheinlichkeiten Gewissheit - ob positiv oder negativ sei vorerst egal, aber Gewissheit. Und das ist wichtig. Zuweilen beängstigend, aber wichtig.