Samstag, 20. März 2021

Black Dog Story

 Ich hab jetzt eine qualifizierte Assistenz

"Du hast jetzt eine bitte was?!"

Okay, geläufiger ist das Ganze wohl noch unter dem altbekannten Begriff der sozialpsychiatrischen Betreuung. Im Kern zusammengefasst bedeutet das, ich habe beim Amt für Eingliederungshilfe auf Grund meiner psychisch bedingten Beeinträchtigungen im Alltag Unterstützung beantragt und erhalte nun über einen Träger in Höhe der vom Amt genehmigten Fachleistungsstunden zusätzlich zur Therapie noch weitere Hilfe.

Immer noch zu viel Fachchinesisch? Alles klar. Klär ich auf.

Auf Grund meiner komplexen posttraumatischen Belastungsstörung, welche ja von einer dissoziativen Identitätsstörung begleitet wird, gibt es für mich im Alltag Herausforderungen, die, wenn ich sie allein bewältigen muss, manchmal schier übermächtig auf mich wirken. Das können natürlich richtig große Herausforderungen sein wie bürokratische Akte: Amtsgänge, Anträge, Versicherungskram - so Sachen, wo kaum einer durchblickt eben. Oder aber emotionale Herausforderungen wie die Bewältigung von Trauer, Trennungen oder zwischenmenschlichen Konflikten, aber auch das Aufbauen einer gesunden Bindung oder Beziehung. Oder es sind so simple Dinge wie täglich meine Zähne zu putzen, regelmäßig unter die Dusche zu gehen statt einer Katzenwäsche mit Lappen und Seife, die Wohnung immer sauber halten, den von mir so gehassten Pappmüll runter bringen statt ihn zu stapeln, Pfand wegbringen, einkaufen gehen ohne einen Rappel zu bekommen und und und. Die Liste könnte ich recht lang weiterführen, das ist mir dann gerade aber doch zu viel Seelenstriptease. Ihr versteht ja das Prinzip.

Da meine Therapeutin sich in der mit mir stattfindenden Verhaltenstherapie aber gerne auch darauf konzentrieren können würde, Traumaarbeit und integrative Anteilsarbeit mit mir zu machen, anstatt mir ständig dabei zuzuhören, wie ich über meinen chaotischen Alltag abkotze - Therapiestunden sind nunmal leider auch nicht unendlich und Krankenkassen sagen irgendwann auch einfach mal "also jetzt reicht's aber erstmal für die nächsten zwei Jahre, Sie pausieren jetzt" - musste jemand her, der mit mir die Alltagsbaustellen angeht. Denn von meiner Therapie sind jetzt nur noch gut 15 Stunden übrig. Mit Glück 35 Stunden, wenn die Krankenkasse sich gnädig zeigt. Wonach es aktuell nicht für mich aussieht, aber das ist ein anderer Schnack. Die bestehen jetzt darauf, dass ich mir bis Monatsende einen Psychiater suche, weil da mal ein Facharzt ran muss, sonst gibt's kein Krankengeld mehr. *hust* Wichser *hust* 

Was also tun?

Meine Therapeutin hatte den Vorschlag, noch jemanden ins Boot zu holen, vor einiger Zeit schon einmal gemacht und damals war ich einfach noch nicht bereit dafür. Zu dem Zeitpunkt lautete der gängige Begriff eben auch noch "Betreuung" und ganz ehrlich: das ist psychologisch gesehen nicht die angemessenste Begrifflichkeit, weil es eben doch zu sehr nach Entmündigung klingt. Erst letzten Dienstag habe ich sowohl meiner Therapeutin als auch meiner qualifizierten Assistenz den psychologischen Mehrwert der Umbenennung in die Assistenz erklärt. Denn eine Assistenz zu haben bedeutet, der Boss zu sein. Es bedeutet, Unterstützung in den Lebensbereichen zu erhalten, von denen man selbst entschieden hat, dass man da allein keinen Bock drauf hat. Assistenz bringt die Assoziation zur Selbstbestimmtheit und ist somit direkt um einiges positiver konnotiert in der Wahrnehmung des Patienten als dieses elendige Wort "Betreuung". Zumal viele Leute mit dem Begriff des Betreuers einen gesetzlichen Betreuer gleichsetzen und davon ist eine qualifizierte Assistenz in ihren Kompetenzen meilenweit entfernt - ich bin in keiner Weise entmündigt. Im Gegenteil würde ich sogar behaupten, dass ich in meiner Mündigkeit eher noch bestärkt werde durch die Assistenz an meiner Seite.

Aber wie bin ich denn nun zu dieser Assistenz gekommen?

Auf Grund der Covid-19 Pandemie sicherlich etwas unkomplizierter und unkonventioneller als die deutsche Bürokratie es vorsieht, aber im Prinzip natürlich auf dem bürokratischen Weg. Und wie der aussieht fasse ich euch jetzt in den einzelnen Schritten zusammen, welche ich gegangen bin.

  1. ein Anruf beim örtlichen Amt für Eingliederungshilfe
    Bei diesem Telefonat habe ich der Mitarbeiterin am Telefon erst einmal gesagt, was ich möchte, nämlich dass meine Therapeutin es auf Grund meiner Diagnosen XY für sinnvoll hält, wenn ich eine qualifizierte Assistenz zur Seite gestellt bekomme. Die Mitarbeiterin hat sich dann meine Nummer geben lassen und mir gesagt, der für mich zuständige Sachbearbeiter würde sich in den kommenden Tagen bei mir melden.

  2. der Rückruf des Sachbearbeiters
    simple Sache: hier wurde nur schnell ein Termin für's Evaluationsgespräch ausgemacht

  3. Evaluationsgespräch
    Das war schon spannender, da es hier darum ging dem Sachbearbeiter zu beschreiben, was denn eigentlich meine Probleme sind. Und ja, ich hasse diese Art von Gesprächen, weil sie einen dazu zwingen, sich seiner Psyche vollumfänglich im Schnelldurchlauf zu stellen und einem völlig fremden Menschen einfach alles zu schildern. Hätte ich nicht schon immer einen sehr offenen Umgang mit meiner Lebensgeschichte gepflegt, wären diese Gespräche noch 1000x schlimmer für mich und anstatt "nur" zu dissoziieren und irgendwelche Spastiken an den Tag zu legen, würde ich wahrscheinlich die Hälfte an relevanten Informationen weglassen, nur weinen und keinen einzigen grammatikalisch korrekten Satz zustande bringen. Ein Glück blieb es bei einer kleineren Dissoziation und einigen spastischen Bewegungen, die ja aber glücklicherweise außer mir niemand sehen konnte.
    Am Ende dieses verbalen Höllentrips stand dann jedenfalls die Terminabsprache für das so genannte Hilfeplangespräch.

  4. Hilfeplangespräch
    Hier werden Ziele festgelegt in den verschiedenen vom Amt vorgegebenen Lebensbereichen und wenn ich meinen Hilfeplan nicht irgendwo verbaselt hätte, könnte ich euch dazu jetzt auch mehr sagen - hab ich aber. Diese Ziele definieren genauer, was die qualifizierte Assistenz mit einem bearbeiten soll. Beispielsweise die eigene Sozialkompetenz oder Aufgabenbewältigung. Was immer die eigenen individuellen Baustellen auch sein mögen.

  5. Antragsstellung
    Natürlich geht, wie bei fast allem, auch hierbei nichts ohne einen offiziellen Antrag. Hier werden die üblichen Eckdaten abgefragt: wer bin ich, wo wohn ich, wie viel Vermögen versteck ich vorm Staat und was will ich weshalb?

Parallel zur Hilfeplanerstellung, also nach dem bestandenen Evaluationsgespräch, geht es an die Suche nach einem geeigneten Träger. Da gibt es größere, wie die Arbeiterwohlfahrt, oder aber auch kleinere lokale Träger, wie in meinem Fall. Google ist hierbei ein guter Berater.

Ich bin per Mail an meinen Träger herangetreten, da ich von Telefonaten vorerst genug hatte. Anschließend hat man sich zu einem Kennlerngespräch verabredet und die Antragsbewilligung vom Amt abgewartet. Als diese dann nach wenigen Wochen per Post ins Haus geflattert kam, ging alles ganz schnell und bereits eine Woche später konnte das für mich neue Abenteuer der Zusammenarbeit mit einer qualifizierten Assistenz starten. Das Pensum beläuft sich für mich aktuell auf vier Fachleistungsstunden wöchentlich, was bedeutet, ich sehe meine Assistenz zwei Mal die Woche für 1 ½ Stunden. Das ist natürlich super, denn so kommt man richtig gut voran in der gemeinsamen Arbeit!

Der große Vorteil meines Trägers: die Jungs und Mädels sind alle super lieb und ausgebildet in Dialectic Behavioral Therapy, kurz DBT.  Und was das genau ist, verrate ich euch beim nächsten Mal.

Bis dahin, bleibt gesund ihr Lieben ❤

Mittwoch, 10. März 2021

Ein Lebenszeichen

Was war los?
Was gibt's Neues?
Und wie geht's weiter mit dem Blog?

* * * * *

Hallo lieber Leser,

lange nichts mehr von einander gehört. Zuletzt begegnet sind wir uns im Oktober 2019 auf meiner "Odyssee des Schmerzes". Was ist seither geschehen?

Nun, 2019 endete bei mir im Kampf gegen die Rückenschmerzen mit viel Krankengymnastik, Massagen und Moorbehandlungen, damit ich dann Anfang 2020, um genau zu sein am Valentinstag, fähig war, an einer ambulanten dreiwöchigen Sportreha teilzunehmen. Parallel bin ich natürlich fleißig weiter zur Therapie gegangen. Nur zur Arbeit eben noch nicht wieder. Dazu sollte mich die Reha dann ja aber wieder befähigen.
Kaum eine Woche in der Reha kam dann mal wieder ein größerer Knall: ein Abszess in meiner linken Kiefernebenhöhle, der binnen 24 Stunden operiert werden musste, da er sonst eine ernstzunehmende Gefahr für mich dargestellt hätte. Und ehrlich gesagt haben mir die circa 17 Stunden mit dem Ding in meinem Gesicht vollkommen genügt, um mich psychisch nicht mehr beisammen halten zu können.
Apropos Psyche: seit Anfang 2020 gibt es auch hier nun eine von meiner Therapeutin gestellte Diagnose, welche komplexe posttraumatische Belastungsstörung mit dissoziativer Identitätsstörung lautet. Vereinfacht gesagt habe ich also schon in meiner Kindheit Traumata erlebt, was sich so dann durchs Leben fortgezogen hat und in einer multiplen Persönlichkeitsstörung geendet ist. Ich bin viele. Yay! Klingt erstmal ziemlich schlimm und verrückt, aber 1 Jahr später kann ich sagen, dass mit guter Therapie und integrativer Anteilsarbeit viel zu erreichen ist an Stabilität und dass die Störung bei mir nicht allzu ausgeprägt scheint. Oder ich hab's einfach gut im Griff. Da bin ich leider keine Expertin.
Aber ich schweife ab...
Nachdem also meine Kiefernebenhöhle von innen geöffnet und der Abszess zusätzlich durch Antibiotika behandelt worden war, ging es zurück in die Reha, welche am 13.3.2020 für mich ihr Ende fand. Einen Tag bevor der erste Lockdown in meiner Heimatstadt verkündet wurde, denn natürlich ist Covid-19 auch hier Anfang 2020 angekommen und hat allen das Leben gehörig auf den Kopf gestellt.

Wie ging es also für mich weiter neben Covid-19, den Lockdowns und der noch immer andauernden Odyssee des Schmerzes?

Um es möglichst kurz zu halten, fasse ich die einzelnen Themenbereiche einmal grob zusammen:

Gesundheitlich war ich bis zum Juli Dauergast bei meiner Zahnärztin in der Praxis und durfte mehrere Wurzelbehandlungen, so wie das Füllen diverser Löcher über mich ergehen lassen, was schließlich in einem vom Kieferchirurgen gezogenen Backenzahn gipfelte. Meine Strafe für das mehrjährige Meiden des Zahnarztes und offen gestanden auch einer guten Zahnhygiene.
Kaum war der Zahn dann gezogen, ging es an die Behandlung eines weiteren Problems. Im Laufe der Reha waren durch eine der Behandlungen Schmerzen in meinem Unterleib ausgelöst worden, welche auf eine mögliche Endometriose hindeuteten. Eine Erkrankung der Gebärmutter, welche oftmals mit starken Schmerzen und möglicher Unfruchtbarkeit einher geht und deren gesicherte Diagnose mithilfe einer Bauchspiegelung erfolgen kann. Meine Frauenärztin hatte mir zunächst zur erneuten regelmäßigen Einnahme der Anti-Baby-Pille geraten, da diese wohl Symptome lindern könne. Leider hat die Pille mir nichts genutzt, außer dass meine Menstruation nun auch schon ein gutes Jahr nicht mehr vorhanden ist, da meine Gebärmutter keine Schleimhaut mehr ausbildet. Laut meiner Frauenärztin Unfruchtbarkeit und die Zielerfüllung der Pille. Um aber meinen Symptomen effektiv an den Kragen gehen zu können, habe ich mich schlussendlich für die Bauchspiegelung entschieden.
Nein, ich habe keine Endometriose. Aber eine Sigmaadhäsion. Was das heißt? Mein Darm und mein Beckenknochen sind eine eher unheilige und doch sehr innige Bindung in Form einer Verwachsung mit einander eingegangen. Diese ist im Rahmen der Bauchspiegelung, so weit möglich, gelöst worden und zumindest die Unterleibsschmerzen konnten so um einiges reduziert werden. Manchmal fühlt es sich zwar noch immer an, als würde mir ein Ziegelstein im Darm liegen, dort wo man Becken und Darm getrennt hat, und mir ist ein wenig der Spaß am Essen abhanden gekommen, aber im Großen und Ganzen ist vieles besser geworden.

Meine Entlassung aus dem Krankenhaus nach der Bauchspiegelung wurde jedoch überschattet durch die schlimmste Nachricht, welche 2020 mir zu bieten hatte: dem Suizid eines sehr lieben Freundes und Arbeitskollegen in der Nacht vom 9ten auf den 10ten  August.

Bezüglich der Arbeit fand zwar eine Widereingliederung in meinen Job, allerdings in einer neuen Abteilung und vom Homeoffice aus, statt, aber wirklich Fuß fassen konnte ich nicht dort bis heute nicht wieder. Ich habe mich wirklich bemüht, aber zusammen mit Covid-19, der Verweigerung von Homeofficearbeit zu Beginn des zweiten Lockdowns, wirklich unangenehmen Mitarbeitergesprächen, welche teilweise leider persönlich angreifend und auch beleidigend meiner Person gegenüber wurden, verweigerten Versetzungen und und und hat auch all der Urlaub dieser Welt nichts nutzen können. Aktuell bin ich bereits seit Anfang Februar wegen eines Burnouts krankgeschrieben. Fiel mir schwer, das zu akzeptieren und damit umzugehen, aber inzwischen weiß auch ich, dass es besser ist so.

Meine ambulante Therapie läuft noch immer weiter und wurde vor gut zwei Monaten durch die Eingliederungshilfe um eine sogenannte qualifizierte Assistenz mit vier Fachleistungsstunden wöchentlich ergänzt. Das heißt, mir steht nun ein sehr lieber Mensch zwei Mal wöchentlich für 1 ½ Stunden mit Rat und Tat zur Seite, worüber ihr in einer künftig geplanten Fortsetzung der "Black Dog Story" mehr erfahren sollt. Denn noch immer ist es mein Ziel, anderen durch psychisch belastete Zeiten zu helfen, indem ich meine eigenen Erfahrungen und Erkenntnisse teile.

Was gibt es noch zu sagen? Seit gut drei Wochen ist mein Antrag auf einen Schwerbehindertenausweis raus, da warte ich jetzt natürlich auf einen Beschluss des Amts. Dann habe ich seit letztem Sommer endlich wieder Kontakt zu meinen Großeltern und unsere Beziehung bessert sich stetig. Seit 2 ½ Wochen besucht mich zudem mein Kind wieder, welches im Sommer tatsächlich auch schon 8 Jahre alt wird und seit gut drei Jahren bei meinen Eltern lebt. Außerdem plane ich zum kommenden Wintersemester erneut ein Studium an der Uni zu beginnen - Skandinavistik und Philosophie in Fachergänzung. Ich habe ein paar liebe Menschen kennengelernt, einige Beziehungen emotional vertieft und wiederum andere emotional gelöst. Dem breiten Verständnis nach bin ich zwar immer noch Single, aber habe trotzdem wieder Liebe in den verschiedensten Formen und Ausführungen in meinem Leben. Außerdem habe ich mir gestern dank eines Attests, welches mir eine Erkrankung im Sinne von §3 der Impfverordnung bescheinigt, meine Impftermine für den Astra Zeneca Impfstoff sichern können. 

Es geht bergauf.

In diesem Sinne: bis bald, lieber Leser!