Donnerstag, 13. Juni 2019

Black Dog Story

Hab immer was Gutes zu erzählen,
wenn Du Lust drauf hast...

Nein, habe ich nicht. Denn deine guten Geschichten sind wie Instagram und Facebook. Sie sind zwar ein Teil von Dir, doch sind sie sorgfältig herausgepickte Momentaufnahmen des Lebens, welches Du gerne führen würdest.
Das ist zunächst natürlich nichts schlimmes. Auch ich erzähle gerne meine guten Geschichten. Belanglosen Leuten. Denn die guten Geschichten sind für Jedermann. Da muss ich nicht selektieren. Niemand verurteilt einen für die guten Geschichten. Im Gegenteil. Sie bringen uns Bewunderung, Anerkennung, vielleicht sogar das eine oder andere Lob. Oberflächlich. Immer in dem Bewusstsein, dass das nicht so ganz wir sind.

Schwierig ist es hingegen, unsere schlechten Geschichten zu erzählen. Die richtig beschissenen. Die, in denen uns weh getan wurde. Die, in denen wir anderen weh getan haben. Die, in denen wir selbst nicht so gut da stehen. Die, für welche wir uns eventuell sogar ein wenig schämen. Die, die nicht in eine gute Weltanschauung passen. Und wir wissen genau, diese Welt, wie wir sie geschaffen haben, ist nicht im Grunde gut, auch wenn wir noch so sehr danach streben, sie und uns in einem rein guten Licht erscheinen zu lassen. Die schlechten Seiten, die beschissenen Geschichten sind ein wichtiger Teil des großen Ganzen und ohne sie wäre keiner von uns komplett.
Ich höre Leuten wirklich immer gern zu. Aber am liebsten, da höre ich die schlechten Geschichten. Denn es sind nicht unsere guten Geschichten, die uns geformt und zu dem gemacht haben, wer wir heute sind. Deine guten Geschichten werden mir niemals die Geschichte erzählen, wie Du zu Dir selbst geworden bist. Sie bilden eine Maske, von welcher Du möchtest, dass ich dieses Gesicht in Dir sehe. Eventuell glaubst Du, Du seist sonst nicht gut genug für mich. Wir alle glauben das doch, habe ich so langsam das Gefühl. Und ja vielleicht sind wir nicht für jedermann gut genug. Aber woher stammt diese irrwitzige Annahme, das sein zu müssen?
Deine Maske blendet. Dich und mich. Doch ich bin im Leben schon genug geblendet worden. Ich habe andere genug geblendet. An weiß gewaschenen Lebensläufen bin ich nicht mehr interessiert. Mich interessieren Menschen, Seelen, das echte Leben. Licht und Schatten.

Sag mir nicht, Du hättest immer etwas Gutes zu erzählen. Erzähl mir lieber davon, wie dir zum ersten Mal das Herz gebrochen und aus der Brust gerissen wurde. Erzähl mir von deiner Einsamkeit, deinen Albträumen, deinen schlimmsten Fehlern, deiner Reue. Erzähl mir von den Makeln und Macken in deiner Familie, den blöden Eigenschaften deiner Freunde, deinen schlimmsten Ticks. Erzähl mir deine düsteren Gedanken. Hast Du schon einmal über Selbstmord nachgedacht? Liebst Du dich selbst? Warum hasst Du dich so sehr? Warum sprechen deine Mum (oder jemand anderes) und Du nicht mehr?
Ich verspreche Dir, wenn ich danach immer noch bereit bin zuzuhören, dann möchte ich auch die guten Geschichten erzählt bekommen. Dann möchte ich dich kennen und lieben lernen. Denn jeder Mensch verdient es, geliebt zu werden, wenn er nur ganz er selbst zu sein wagt.

Mittwoch, 5. Juni 2019

Black Dog Story

Generalisierte Angststörung
Wenn die Angst übernimmt

Eine generalisierte Angststörung, was soll das denn nun schon wieder sein? Nun, zunächst einmal ist es ein Zustand, unter welchem heutzutage nicht wenige Menschen leiden. Gut 5% der Bevölkerung, so Statistiken, erkranken im Lauf ihres Lebens an einer generalisierten Angststörung, die Betroffenen sind meist Frauen. Es verselbständigt sich hierbei die eigene Angst und verliert sowohl Zweckmäßigkeit als auch Relation. Aus alltäglichen Sorgen, die jeder kennt: Sorge vor Krankheit, Jobverlust, Zurückweisung, Ablehnung, etc pp. werden so wahrhaftige Ängste, die von den unterschiedlichsten Symptomen begleitet werden, wie unter anderem Herzklopfen, Schweißausbrüchen, Magenbeschwerden, Schwindel, Hitze- oder Kältegefühlen, Muskelverspannungen und -schmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten, Reizbarkeit und Schlafstörungen, sowie dem für mich wohl schlimmsten Symptom, der Angst verrückt zu werden oder zu sterben - in meinem Fall meist ausgelöst durch oben genanntes Herzklopfen und begleitende Magenbeschwerden und Muskelschmerzen.

Was diesen Zustand der Angst auslöst, kann ich gar nicht so genau beschreiben. Sie ist manchmal plötzlich einfach da. Und das in letzter Zeit immer häufiger. Ohne jede Vorwarnung beginnt mein Herz zu rasen, meine Gedanken werden unklar, ich stehe plötzlich neben mir, schweißnasse Hände, Hitzewallungen gefolgt von dem Gefühl zu erfrieren, dann Schmerzen, alles verkrampft, die Zeit steht still um mich herum und dann kommt die Übelkeit, das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen und manchmal eben auch tatsächlich der Gang zur Toilette, um eben genau dies zu tun, mich übergeben. Und dann? Stille im Kopf. Nein. Gedanken rasen, doch ich kann sie nicht greifen. Es kommt einer sehr sehr unruhigen Stille gleich. Eine Stille, die brüllt. Und durch das Brüllen nur ein Gedanke: "das war's mit mir".

In der letzten Woche folgte eine dieser Panikattacken auf die nächste. Ich war ständig unkontrolliert am Zittern, wollte nicht mehr unter Menschen und wagte ich es doch, bekam ich selbst unter Freunden die nächsten Panikattacken. Selbst auf einer Party von und mit Freunden hätte ich vor lauter Nervosität - bloß weil ein Bekannter sich unterhalten wollte - fast aus dem Küchenfenster gegöbelt. Komplett nüchtern. Nicht einen Tropfen Alkohol im Blut. Ich bin nun nämlich bald schon ein halbes Jahr trocken. Die Panik davor, das irgendwie erklären zu müssen, hat mich das Erbrochene schlucken lassen. Danach entschied ich mich für den restlichen Abend gegen eine weitere Nahrungsaufnahme. Dabei hatte ich zu meiner Beruhigung schon extra meinen besten Freund mitgenommen zu der Party - naja, ursprünglich hatte ich ihn einige Wochen zuvor gebeten, mich zu begleiten, weil ich einfach gerne Zeit mit ihm verbringe und mehr mit ihm unternehmen möchte. Zu dem Zeitpunkt hatte ich meine Ängste auch noch unter Kontrolle bzw meine gewohnten Verdrängungsstrategien haben noch funktioniert. Nun musste ich feststellen, dass es an jenem Abend schon zu einer Panikattacke führte, wenn er sich nur fünf Meter von mir entfernte.

Ihr merkt also eventuell, mein Zustand ist in der letzten Zeit kein besserer geworden. Und ich denke, dort spielen mehrere Faktoren mit hinein. Die erneute, unbegründet gebliebene Zurückweisung durch einen Menschen, den ich lieb gewonnen hatte über die letzten zwei Monate hinweg, Zurückweisung durch meine Familie und insbesondere meinen Sohn, die daraus entstehende Angst, bald vielleicht auch beruflich und im Freundeskreis den Leuten nicht mehr zu genügen und dieses völlig irrationale Gefühl, vermutlich niemals einen echten Partner im Leben zu finden und all diese Liebe in mir drin weiter hoffnungslos in der Welt zu verteilen, so gut ich es eben kann. Von den üblichen Gedanken, rein oberflächlich betrachtet, schon nicht genug zu sein, sondern zu dick, zu verpickelt, zu untersetzt, zu hässlich, zu stillos, zu was-auch-immer, mal ganz zu schweigen.

Gestern kam nun jedenfalls, unabhängig von der Suche nach einem Therapeuten, der Tag, an dem ich mal wieder meinen Hausarzt aufgesucht habe. Ich hatte mich auf der Arbeit krank gemeldet, wohl wissend, dass ich es dort keinen weiteren Tag aushalten würde - offiziell wegen meiner PMS, inoffiziell genau wegen der oben beschriebenen Umstände. Und so führte mich der gestrige Tag von der Anweisung, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu beschaffen über meinen Hausarzt und ein offenes Gespräch über meinen momentanen Gemütszustand, zu der Verschreibung von Promethazin-Tropfen. Promethazin ist ein Neuroleptikum, welches hauptsächlich wegen seiner beruhigenden und anti-allergenen Wirkung, jedoch nur noch selten als Antipsychotikum eingesetzt wird. Aber wie heißt es so schön, Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel. Bei Angststörungen findet Promethazin nämlich weiterhin Anwendung. Und ich denke, jetzt an Tag 2, ich verstehe auch weshalb. Promethazin sediert. Es sediert mich so effektiv, dass ich meine Symptome zwar weiter wahrnehme, sie mir gerade aber völlig schnuppe sind. Ich bin viel zu sehr damit beschäftigt - ja, womit eigentlich?

Glücklicherweise muss ich nun erst in zwei Wochen wieder arbeiten und am normalen Alltag teilnehmen. Bis dahin hat mein Körper sich hoffentlich an das Promethazin gewöhnt und ich mich ganz allgemein wieder beruhigt und entspannt. Entspannungsmaßnahme Nummer 1 lautet gerade jedenfalls, den Laptop mit auf den Balkon nehmen, Musik hören, diesen Blog schreiben und mir einfach die Sonne auf den Pelz scheinen lassen.

Montag, 3. Juni 2019

Black Dog Story

Die vielleicht eher unerwarteten Herausforderungen

Bei der Suche nach einem Therapieplatz kann es für Betroffene Schwierigkeiten und Herausforderungen geben, die sind vielen Leuten, glaube ich, gar nicht so bewusst. Ich selbst hatte die Thematik in meinem letzten Post mit dem kurzen Abschnitt "Bei einem Therapeuten anrufen? Ein Ding der Unmöglichkeit!" bereits angeschnitten. Jetzt möchte ich näher darauf eingehen, warum das aus mehreren Gründen eine nicht zu vernachlässigende Hürde ist.

Zum einen ist es so, habe ich feststellen müssen, dass viele Therapeuten die unmöglichsten Uhrzeiten und vor allem auch Zeitfenster haben, zu denen sie telefonisch erreichbar sind. Um ein kleines Beispiel zu geben: "Für die Vereinbarung eines Erstgesprächstermins erreichen Sie die Praxis Mittwoch/Freitag 8.20-8.50 Uhr sowie Donnerstag 9-9.50 Uhr." Das sind zum einen keine sehr großen Zeitfenster, zum anderen erhöht eine solch begrenzte Zeitangabe aber auch immens den Druck auf den Hilfesuchenden, gerade wenn derjenige, so wie ich auch, unter anderem an Angststörungen leidet. Schnell kommen im eigenen Kopf Gedanken auf wie: "Kann ich das überhaupt schaffen in diesem Zeitfenster?", "Was wenn ich das Zeitfenster verpasse? Ich müsste es am nächsten Tag nochmal versuchen. Haha, nein. Ganz bestimmt nicht! Als ob ich da zwei Mal anrufe. Ein Mal da anzurufen ist doch fast schon unmöglich.", "Da rufen in der Zeit bestimmt extrem viele Leute an, wenn der Therapeut sonst nicht erreichbar ist. Da komme ich doch sicher gar nicht erst durch", etc. pp.
Solche Gedanken mögen vollkommen irrational und unbegründet wirken und die häufigste Antwort Angehöriger ist wohl: "Versuch es doch einfach!", aber das ist nun einmal der springende Punkt: zum Telefonhörer zu greifen und jemanden anzurufen ist nicht immer und für jeden Menschen einfach.

Was direkt zum nächsten Problem führt. Die Telefonie an sich ist nämlich nicht selten schon eine Herausforderung. Viele Menschen haben in ihrem Leben schlechte Erfahrungen mit Telefonie gemacht. Seien es unfreundliche Mitarbeiter, unangenehme Gespräche oder unangenehme Nachrichten, welche telefonisch übermittelt wurden, oder aber schlimmsten Falls Stalking und Telefonterror. Egal was der Auslöser für die Furcht vorm Telefonhörer war, egal wie irrational die Angst des Einzelnen auf seine Angehörigen wirken mag: sie ist valide. Es ist völlig egal, ob Person XY schon "viel schlimmeres" am Telefon erlebt hat und trotzdem noch gerne telefoniert. Jeder Mensch ist Gefangener seiner eigenen Empfindenswelt und niemand hat für einen zu entscheiden, ob die eigene Angst schlimm ist oder nicht oder irrational oder sonstwas. Fun Fact am Rande: Angst definiert sich sogar darüber, irrational zu sein und aus dem Inneren heraus zu kommen. Ihr rationaler Gegenpart, welcher auf realen äußeren Einflüssen beruht ist die Furcht. Philosophieunterricht, siebte Klasse. Danke, Herr Meier, an dieser Stelle.
In meinem Fall war es tatsächlich die telefonische Belästigung durch eine Klassenkameradin in jungen Jahren. Und auch wenn ich mir sicher bin, dass sie einfach nur ein sehr einsames Kind war, das geglaubt hat in mir eine gute Zuhörerin und Freundin gefunden zu haben, in mir haben ihre ständigen Anrufe und ewigen Erzählungen eine bis heute anhaltende Abneigung vor Telefonanrufen ausgelöst. Vielleicht auch ein Grund, warum ich nicht einmal im Job groß Smalltalk führe. Außer ich habe das seltene Glück mit AutorInnen oder FotografInnen oder anderen interessanten Persönlichkeiten sprechen zu können. Das passiert mir allerdings nur so drei bis fünf Mal im Jahr bei um die 100-200 Telefonaten die Woche, nur um das mal eben ins Verhältnis zu setzen.

Was ist aber die Lösung, wenn zu telefonieren nicht infrage kommt? Glücklicherweise geben inzwischen einige Therapeuten Email Adressen an. So habe auch ich es schlussendlich geschafft, ein Erstgespräch zu vereinbaren. Der Schriftweg ist nämlich viel entschleunigter und bewusster. Man kann das Geschriebene mehrfach gegen lesen und korrigieren und sich vergewissern, am Ende dem Gegenüber wirklich das zu vermitteln, was man auch vermitteln wollte. Bei Telefonaten habe ich keine Korrekturmöglichkeiten des Gesagten, weshalb es mir gerade bei einer solchen Thematik immer wieder passiert, dass ich zu stottern und zu stammeln beginne und schlussendlich wirreres Zeug rede, als es meine Absicht gewesen ist. Oder aber, was vielleicht noch viel schlimmer ist, außer "ja" und "okay" kommt mal so gar nichts aus mir heraus.
Ich habe Anfang des Jahres ein einziges telefonisches Gespräch mit einem Therapeuten geführt und es lief scheiße. Entschuldigung für die Ausdrucksweise. Aber so war es. Der gute Herr hat ungefähr 3 Minuten gebraucht, um mich als Patientin abzulehnen, und das ohne mich je wirklich kennengelernt zu haben. Eine Erfahrung, deren Wiederholung ich um jeden Preis verhindern wollte.

Schlussendlich habe ich mich nun also vor einer Woche mit einer Freundin an eben diesen Laptop gesetzt und in die Tasten gehauen. Ich glaube wir haben an jenem Tag gut 12 Therapeuten im näheren Umkreis von fünf Kilometern geschrieben. Und so dankbar ich auch für die Kommunikationsmöglichkeit des Emailverkehrs bin, habe ich an viele Therapeuten aus der jetzt gemachten Erfahrung heraus einen ganz großen Kritikpunkt: bitte bieten Sie keinen Schriftverkehr an, wenn Sie nicht beabsichtigen, diesen auch zu beantworten. Eine automatisierte Antwort, dass aktuell keine Therapieplätze zur Verfügung stehen, ist vollkommen genügend, sollte das der Fall sein. Doch was absolut nicht okay ist, ist gar nicht zu antworten oder aber automatisiert die telefonischen Sprechzeiten zurück zu senden. Es hat einen guten Grund, warum der potenzielle Patient sich schriftlich und eben nicht telefonisch an Sie gewandt hat. Und dass ich als Nicht-Psychologin das einigen studierten PsychologInnen an dieser Stelle scheinbar erklären muss, wo doch die Kenntnis der menschlichen Angst als ein sehr realer Umstand mit oft unumgänglichen Auswirkungen auf die Verhaltensweisen des Betroffenen ein Grundverständnis des eigenen Berufsbildes sein sollte. Oder irre ich mich da etwa?

Abschließend möchte ich allen Hilfesuchenden im deutschsprachigen Raum noch eine Website ans Herz legen, ohne welche ich wahrscheinlich auch in 10 Jahren noch keine therapeutische Hilfe gefunden hätte: http://psych-info.de. Es handelt sich hierbei um keinerlei Kooperation mit zuvor genannter Website, sondern um kostenlose Werbung aus der individuellen Überzeugung heraus, dass hier eine Plattform geboten wird, die Betroffenen tatsächlich helfen kann. So kann die eigene Postleitzahl als Anhaltspunkt für die Suche verwendet werden und in der erweiterten Suche kann genau eingegrenzt werden, nach welcher Art von Therapie man eigentlich sucht. Ob der Betroffene Kind, Jugendlicher, oder Erwachsener ist, ob die Therapie Kassenleistung oder privat finanziert sein soll, ob es eine tiefenpsychologische Psychotherapie sein soll, eine Verhaltenstherapie oder ähnliches. Die Website bietet zudem ausführliche Informationen zu den angeführten Psychologen und Therapeuten auf einen Blick, so dass sowohl die Qualifikationen, als auch Behandlungsmethoden und Kontaktmöglichkeiten direkt ersichtlich sind. Wenn Du oder ein Mensch in deinem Umfeld Hilfe sucht, dann nehmt einander bei der Hand, so wie meine Freundin und ich es getan haben, und werft einen Blick auf diese Website. Es mag albern klingen, aber ich bin der festen Überzeugung, dass das im Ernstfall durchaus Leben retten kann.

Sonntag, 2. Juni 2019

Black Dog Story

Ich suche mir die Hilfe, die ich benötige
Es geht endlich in Therapie

Hoffentlich. Sicher ist mir der Therapieplatz noch nicht. Aber ich habe mich endlich auf die Suche begeben, dank der Hilfe und guten Zurede einer lieben Freundin. Denn gemeinsam geht es sich leichter durchs Leben und Dinge, die eventuell über Jahre beängstigend waren, werden erträglicher. Nicht einfach, ganz sicher nicht. Ich will nicht so tun als fiele mir die Therapieplatzsuche nun plötzlich leicht. Ganz sicher nicht. Bei Therapeuten anrufen? Ein Ding der Unmöglichkeit! Ich telefoniere nicht. Ja, ich weiß, ich arbeite in einem Callcenter und zu telefonieren ist mein Job. Aber das ist, so verrückt das klingen mag, etwas völlig anderes. Es gibt das private Ich und das berufliche Ich und die beiden sind in meinem Fall zwei sehr unterschiedliche Menschen. Eine Lücke, die ich zu schließen gedenke mit Hilfe der hoffentlich bald erfolgenden Therapie. Denn es ist sehr anstrengend zwei so komplett unterschiedliche Menschen in einem zu vereinen. Natürlich ist es ganz normal, dass wir in unserem Privatleben nicht ganz der Mensch sind, der wir in unserem Job sind. Doch sind diese zwei Personen zu gegensätzlich veranlagt, dann zehrt das immens an den eigenen Energiereserven. Wir verausgaben uns dann bei etwas, für das es zwar in Ordnung ist, Energie aufzuwenden, jedoch nicht so viel davon, dass genau das einer der Hauptgründe ist, warum wir abends völlig erschöpft ins Bett fallen. Denn es kann zwar wundervoll sein, sich abends erschöpft hinzulegen und direkt einem erholsamen Schlaf hinzugeben - aber eben nur wenn es eine befriedigte Art der Erschöpfung ist, die uns zufrieden zurücklässt. Doch das ist diese Art der Erschöpfung eben nicht. Es ist viel mehr die Kategorie Erschöpfung, die uns aussaugt und als leere Hülle zurücklässt, welche Schwierigkeiten verspürt, zur Ruhe zu kommen und uns abends, so ausgelaugt wir auch sein mögen, oftmals noch stundenlang wach im Bett liegen und grübeln lässt, warum uns nicht gelingen mag, was anderen so leicht von der Hand zu gehen scheint: ein geregeltes und erfülltes Leben zu leben.
Mir ist natürlich klar, dass kein Leben perfekt ist. Jeder muss ab und zu eine Fassade der Scheinheiligkeit errichten, wenn es darum geht, das eigene Leben vollkommen wirken zu lassen. Und ich denke oft, dass es unserer Gesellschaft gut täte, wir würden offener über unsere schlechten Tage und Momente kommunizieren. Einfach mal nicht auf jedes "Wie geht es Dir?" mit dem standardisierten "Gut und selbst?" antworten, sondern ganz offen und ehrlich sagen: "Weisst Du, momentan fühle ich mich ziemlich überfordert mit meinem Leben. Irgendwie ist der Wurm drin und manches bereitet mir Sorgen." Ich denke, damit wäre vielen geholfen und die Distanz, welche sich in der heutigen Zeit fast wie selbstverständlich in unser zwischenmenschliches Leben geschlichen hat, würde wie natürlich abgebaut. Man käme sich wieder näher und Schwächen würden zu Stärken.
Nicht selten träume ich von einer solchen Welt. Einer Welt, in der es okay ist, dass ich depressiv bin. Einer Welt, die mich auch an meinen schlechtesten Tagen nicht verurteilt. Eine Welt in der ich, allen Dingen voran, keine Angst davor haben muss verurteilt oder, was manchmal noch viel schlimmer ist, verspottet zu werden. Erst kürzlich wieder meinte ein Arbeitskollege, ich solle mich doch mal lieber aus dem Bett und unter Leute bewegen, statt wieder ständig so eine "Deprischeiße" zu reden. Danke für den Hinweis, Sherlock. Es ist nicht so, dass ich das nicht gerne tun würde. Himmel, was gäbe ich dafür, jeden Tag problemlos mein Bett verlassen zu können, nur positiven Gedankenmustern zu folgen und die Welt und ihre Schönheit mit vollen Atemzügen zu genießen und das Leben lachend zu begrüßen und zu umarmen und zu lieben. Ich würde an manchen Tagen wortwörtlich mein Leben geben, um ein solcher Mensch sein zu können. Und genau deshalb wage ich nun endlich, allen Ängsten vor Identitätsverlust und Ablehnung zum Trotz den Schritt hin zur ambulanten Therapie. Etwas, wovor ich mich sehr sehr lange gedrückt habe, weil ich mir jahrelang eingeredet habe, doch auch ohne ganz gut klar zu kommen und immer der Meinung war, es seien bloß die anderen, die das für mich wollen. Wie zB meine Mutter, die egal mit was ich hilfesuchend zu ihr kam in den letzten Jahren immer nur eine Antwort für mich hatte: "Such dir einen Psychologen, ich kann Dir nicht helfen", eine Antwort, die mich immer wieder verletzt hat und dafür gesorgt hat, dass ich mich meiner eigenen Mutter heute nicht mehr anvertraue und sie meide, als einen Menschen, der mich aufgegeben zu haben scheint und seit Jahren bloß noch von sich weist und in die Obhut anderer geben will. Mich selbst davon zu überzeugen, dass ich die hoffentlich bald anstehende Therapie nicht für meine Mutter oder einen anderen Menschen, sondern einzig und allein für mich und eine nachhaltige Verbesserung meines eigenen Lebens machen werde, das hat mich lange Zeit gekostet und war vielleicht einer der schwierigsten Gedankenprozesse meines bisherigen Lebens.
Ironischerweise ist derselbe Arbeitskollege, welcher mir letztens noch meine "Deprischeiße" vorhielt, nun derjenige, welcher meinen Entschluss in eine ambulante Therapie zu gehen am schärfsten kritisiert und am meisten belächelt. Ganz ehrlich, er ist nicht einfach nur ein Arbeitskollege gewesen. Wir waren Ende letzten Jahres eine Weile so etwas wie ein Paar. Naja, ich war seine Liebschaft neben seiner eigentlichen Beziehung, welche angeblich offen und polyamourös gelebt wurde. Ich glaube inzwischen, seine Freundin sah das immer ein wenig anders und er ist einfach ein ziemliches Arschloch. Okay, vielleicht kein Arschloch, aber ein elendiger Egozentriker, dem andere Menschen doch ziemlich egal sind und der alles nieder machen muss, fast schon zwanghaft, was nicht in sein eigenes Weltbild passt. Er hat mich gelehrt, dass ich es nicht zu ertragen brauche, von einem Menschen, dem ich vertraue, ständig hängen gelassen zu werden. Weshalb ich ihn eigenhändig wieder zu meinem Arbeitskollegen und nichts anderem erklärt habe. Ein Schritt, der super viel Mut erfordert hat, aber mir schlussendlich wieder Luft zum Atmen gegeben hat. Und wenn ich nun merke, wie wenig er mich noch immer unterstützt, obwohl er versucht, wieder einen anderen Anteil in meinem Leben zu erlangen als nur den des Arbeitskollegen, dann bin ich froh, dass ich mich aus meiner emotionalen Abhängigkeit ihm gegenüber habe lösen können und in der Lage bin, anstatt mich ihm einfach wieder hinzugeben, zu sagen: nein danke, Du tust mir auf einer sehr emotionalen Ebene nicht gut!
Er war tatsächlich letztens zu Besuch und hat mich geküsst und ich habe nichts mehr dabei gefühlt. Stattdessen war ich am Handy, habe mit meinem besten Freund kommuniziert und war mehr an dessen WG-Leben interessiert als an dem Menschen, der dort direkt neben mir in meinem Bett lag und erneut die Nähe zu mir gesucht hat. Daher muss ich fairerweise sagen: auch ich wäre inzwischen nicht mehr gut für ihn, da ich ihn nicht mehr so wertschätzen kann, wie ich es vor unserem Zerwürfnis wie selbstverständlich gekonnt habe.
Warum dieser kleine Exkurs in mein Privatleben? Ganz einfach: es ist eine wichtige Lektion in allen Lebensbereichen zu erkennen, dass wir von Dingen und aber auch insbesondere Menschen, die uns nicht gut tun und uns nicht zu fördern vermögen, Abstand nehmen können, dürfen und manchmal auch müssen - egal in welchem Verhältnis wir zu diesen Leuten stehen. Ganz ohne diesen Menschen schlechtes zu wollen. Im Gegenteil, ich bin inzwischen zu der Überzeugung gekommen, man tut beiden Seiten einen Gefallen damit - manch einer mag nur länger brauchen, ebenfalls zu dieser Erkenntnis zu kommen. Denn so schmerzhaft es auch sein mag, einen Lebensabschnittsbegleiter zu verlieren, hinter allem steckt irgendein Sinn und was am aller aller wichtigsten ist und ich bin so unendlich dankbar, das trotz meiner Depressionen und dank meiner wirklich lieben Freunde und Bekannten erkennen zu können: Das Leben geht immer weiter!

Für mich dann bald hoffentlich mit ein wenig professioneller Unterstützung.