Montag, 3. Juni 2019

Black Dog Story

Die vielleicht eher unerwarteten Herausforderungen

Bei der Suche nach einem Therapieplatz kann es für Betroffene Schwierigkeiten und Herausforderungen geben, die sind vielen Leuten, glaube ich, gar nicht so bewusst. Ich selbst hatte die Thematik in meinem letzten Post mit dem kurzen Abschnitt "Bei einem Therapeuten anrufen? Ein Ding der Unmöglichkeit!" bereits angeschnitten. Jetzt möchte ich näher darauf eingehen, warum das aus mehreren Gründen eine nicht zu vernachlässigende Hürde ist.

Zum einen ist es so, habe ich feststellen müssen, dass viele Therapeuten die unmöglichsten Uhrzeiten und vor allem auch Zeitfenster haben, zu denen sie telefonisch erreichbar sind. Um ein kleines Beispiel zu geben: "Für die Vereinbarung eines Erstgesprächstermins erreichen Sie die Praxis Mittwoch/Freitag 8.20-8.50 Uhr sowie Donnerstag 9-9.50 Uhr." Das sind zum einen keine sehr großen Zeitfenster, zum anderen erhöht eine solch begrenzte Zeitangabe aber auch immens den Druck auf den Hilfesuchenden, gerade wenn derjenige, so wie ich auch, unter anderem an Angststörungen leidet. Schnell kommen im eigenen Kopf Gedanken auf wie: "Kann ich das überhaupt schaffen in diesem Zeitfenster?", "Was wenn ich das Zeitfenster verpasse? Ich müsste es am nächsten Tag nochmal versuchen. Haha, nein. Ganz bestimmt nicht! Als ob ich da zwei Mal anrufe. Ein Mal da anzurufen ist doch fast schon unmöglich.", "Da rufen in der Zeit bestimmt extrem viele Leute an, wenn der Therapeut sonst nicht erreichbar ist. Da komme ich doch sicher gar nicht erst durch", etc. pp.
Solche Gedanken mögen vollkommen irrational und unbegründet wirken und die häufigste Antwort Angehöriger ist wohl: "Versuch es doch einfach!", aber das ist nun einmal der springende Punkt: zum Telefonhörer zu greifen und jemanden anzurufen ist nicht immer und für jeden Menschen einfach.

Was direkt zum nächsten Problem führt. Die Telefonie an sich ist nämlich nicht selten schon eine Herausforderung. Viele Menschen haben in ihrem Leben schlechte Erfahrungen mit Telefonie gemacht. Seien es unfreundliche Mitarbeiter, unangenehme Gespräche oder unangenehme Nachrichten, welche telefonisch übermittelt wurden, oder aber schlimmsten Falls Stalking und Telefonterror. Egal was der Auslöser für die Furcht vorm Telefonhörer war, egal wie irrational die Angst des Einzelnen auf seine Angehörigen wirken mag: sie ist valide. Es ist völlig egal, ob Person XY schon "viel schlimmeres" am Telefon erlebt hat und trotzdem noch gerne telefoniert. Jeder Mensch ist Gefangener seiner eigenen Empfindenswelt und niemand hat für einen zu entscheiden, ob die eigene Angst schlimm ist oder nicht oder irrational oder sonstwas. Fun Fact am Rande: Angst definiert sich sogar darüber, irrational zu sein und aus dem Inneren heraus zu kommen. Ihr rationaler Gegenpart, welcher auf realen äußeren Einflüssen beruht ist die Furcht. Philosophieunterricht, siebte Klasse. Danke, Herr Meier, an dieser Stelle.
In meinem Fall war es tatsächlich die telefonische Belästigung durch eine Klassenkameradin in jungen Jahren. Und auch wenn ich mir sicher bin, dass sie einfach nur ein sehr einsames Kind war, das geglaubt hat in mir eine gute Zuhörerin und Freundin gefunden zu haben, in mir haben ihre ständigen Anrufe und ewigen Erzählungen eine bis heute anhaltende Abneigung vor Telefonanrufen ausgelöst. Vielleicht auch ein Grund, warum ich nicht einmal im Job groß Smalltalk führe. Außer ich habe das seltene Glück mit AutorInnen oder FotografInnen oder anderen interessanten Persönlichkeiten sprechen zu können. Das passiert mir allerdings nur so drei bis fünf Mal im Jahr bei um die 100-200 Telefonaten die Woche, nur um das mal eben ins Verhältnis zu setzen.

Was ist aber die Lösung, wenn zu telefonieren nicht infrage kommt? Glücklicherweise geben inzwischen einige Therapeuten Email Adressen an. So habe auch ich es schlussendlich geschafft, ein Erstgespräch zu vereinbaren. Der Schriftweg ist nämlich viel entschleunigter und bewusster. Man kann das Geschriebene mehrfach gegen lesen und korrigieren und sich vergewissern, am Ende dem Gegenüber wirklich das zu vermitteln, was man auch vermitteln wollte. Bei Telefonaten habe ich keine Korrekturmöglichkeiten des Gesagten, weshalb es mir gerade bei einer solchen Thematik immer wieder passiert, dass ich zu stottern und zu stammeln beginne und schlussendlich wirreres Zeug rede, als es meine Absicht gewesen ist. Oder aber, was vielleicht noch viel schlimmer ist, außer "ja" und "okay" kommt mal so gar nichts aus mir heraus.
Ich habe Anfang des Jahres ein einziges telefonisches Gespräch mit einem Therapeuten geführt und es lief scheiße. Entschuldigung für die Ausdrucksweise. Aber so war es. Der gute Herr hat ungefähr 3 Minuten gebraucht, um mich als Patientin abzulehnen, und das ohne mich je wirklich kennengelernt zu haben. Eine Erfahrung, deren Wiederholung ich um jeden Preis verhindern wollte.

Schlussendlich habe ich mich nun also vor einer Woche mit einer Freundin an eben diesen Laptop gesetzt und in die Tasten gehauen. Ich glaube wir haben an jenem Tag gut 12 Therapeuten im näheren Umkreis von fünf Kilometern geschrieben. Und so dankbar ich auch für die Kommunikationsmöglichkeit des Emailverkehrs bin, habe ich an viele Therapeuten aus der jetzt gemachten Erfahrung heraus einen ganz großen Kritikpunkt: bitte bieten Sie keinen Schriftverkehr an, wenn Sie nicht beabsichtigen, diesen auch zu beantworten. Eine automatisierte Antwort, dass aktuell keine Therapieplätze zur Verfügung stehen, ist vollkommen genügend, sollte das der Fall sein. Doch was absolut nicht okay ist, ist gar nicht zu antworten oder aber automatisiert die telefonischen Sprechzeiten zurück zu senden. Es hat einen guten Grund, warum der potenzielle Patient sich schriftlich und eben nicht telefonisch an Sie gewandt hat. Und dass ich als Nicht-Psychologin das einigen studierten PsychologInnen an dieser Stelle scheinbar erklären muss, wo doch die Kenntnis der menschlichen Angst als ein sehr realer Umstand mit oft unumgänglichen Auswirkungen auf die Verhaltensweisen des Betroffenen ein Grundverständnis des eigenen Berufsbildes sein sollte. Oder irre ich mich da etwa?

Abschließend möchte ich allen Hilfesuchenden im deutschsprachigen Raum noch eine Website ans Herz legen, ohne welche ich wahrscheinlich auch in 10 Jahren noch keine therapeutische Hilfe gefunden hätte: http://psych-info.de. Es handelt sich hierbei um keinerlei Kooperation mit zuvor genannter Website, sondern um kostenlose Werbung aus der individuellen Überzeugung heraus, dass hier eine Plattform geboten wird, die Betroffenen tatsächlich helfen kann. So kann die eigene Postleitzahl als Anhaltspunkt für die Suche verwendet werden und in der erweiterten Suche kann genau eingegrenzt werden, nach welcher Art von Therapie man eigentlich sucht. Ob der Betroffene Kind, Jugendlicher, oder Erwachsener ist, ob die Therapie Kassenleistung oder privat finanziert sein soll, ob es eine tiefenpsychologische Psychotherapie sein soll, eine Verhaltenstherapie oder ähnliches. Die Website bietet zudem ausführliche Informationen zu den angeführten Psychologen und Therapeuten auf einen Blick, so dass sowohl die Qualifikationen, als auch Behandlungsmethoden und Kontaktmöglichkeiten direkt ersichtlich sind. Wenn Du oder ein Mensch in deinem Umfeld Hilfe sucht, dann nehmt einander bei der Hand, so wie meine Freundin und ich es getan haben, und werft einen Blick auf diese Website. Es mag albern klingen, aber ich bin der festen Überzeugung, dass das im Ernstfall durchaus Leben retten kann.

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