Dienstag, 15. Oktober 2019

Odyssee des Schmerzes

2 Monate schon Totalausfall
Jedoch mit Hoffnung auf Besserung

Inzwischen ist es zwei Monate her, dass mein Rücken beschlossen hat, erst einmal ein Weilchen die Arbeit zu verweigern. Und es hat sich einiges getan, auch wenn sich vieles wie Stillstand anfühlt.

Zunächst einmal wollen die Erfolge der letzten Wochen genannt sein:
Ich war fleißig in der Krankengymnastik und habe auch zuhause meine Übungen gemacht und das zahlt sich aus. Meine Haltung hat sich extrem verbessert. Ein grader Rücken ist nicht mehr nur Mythos und Eigenschaft anderer. Ich selbst bin nun auch in der Lage, mich in aufrechter Körperhaltung fortzubewegen. Zumindest beim Gehen und Treppen steigen. Im Sitzen schaut das Ganze zugegeben noch etwas unsicher aus, außer ich schiebe - so wie jetzt gerade - meinen Stuhl ganz nahe an den Tisch und zwinge mich so selbst in eine gerade Körperhaltung. Das mag ein wenig geschummelt und Trick 17 sein, doch es hilft. Also warum nicht?
Meine Schmerzen sind auch viel weniger geworden. Natürlich ziept es nochmal hier und dort und gerade nach körperlicher Anstrengung merke ich doch noch ordentlich, dass etwas nicht so ganz in Ordnung ist. Doch der Schmerz ist kein dauerhafter Begleiter mehr und überfällt mich meist nur noch nachts. Wobei gesagt sein muss, dass auch meine Nächte glücklicherweise wieder etwas länger und erholsamer geworden sind.
Und ich kann mit Stolz behaupten, bezüglich meiner Einstellung gegenüber Schmerzmitteln standhaft geblieben zu sein. Ich habe keine Schmerztabletten mehr eingenommen und dadurch mir selbst die Möglichkeit eröffnet, meinen Schmerz aber vor allem auch meine Fortschritte spüren zu können. Das war nicht immer einfach und an manchen Tagen habe ich mich dafür selbst verflucht. Aber sowohl meine Physiotherapeutin als auch ich sind der Meinung: diese Entscheidung war richtig und wichtiger Teil des Heilungsprozesses. Ich habe so ein völlig neues Körpergefühl entwickeln können, welches mich meine Grenzen genauso wahrnehmen lässt wie meine neuen Stärken. Das ist wichtig, damit ich auch zukünftig rücksichtsvoll mit meinem Rücken umgehen kann.
Außerdem unterstützen sowohl meine Physiotherapeutin als auch mein behandelnder Neurochirurg mein Vorhaben, eine Reha-Maßnahme zu beantragen. Der Antrag liegt bereits hier neben mir und ich hoffe so sehr, dass mir eine ganztägige ambulante Reha genehmigt wird vom Rententräger! An dieser Stelle wäre ich für jeden gedrückten Daumen eurerseits dankbar!

Doch natürlich läuft wie so oft im Leben auch bei Weitem nicht alles rund. Ich habe nun schon vor gut drei Wochen meinen Antrag auf Krankengeld gestellt und die Bearbeitung scheitert, wie bereits im Vorfeld von mir befürchtet, an meinem Arbeitgeber. Und das macht mich richtig sauer. Gefühlt habe ich seit Beginn meiner Erkrankung nur noch Ärger mit meinem Arbeitgeber. Hat man mir in meinem alten Projekt noch regelmäßig was von der Fürsorgepflicht gegenüber den eigenen Arbeitnehmern erzählt, so frage ich mich jetzt: wo ist diese so hoch gepriesene Fürsorge, wenn es wirklich darauf ankommt? Im Krankheitsfall.
Es ist nämlich, wie bereits in einem vorherigen Artikel von mir beschrieben, so, dass die Gehaltsnachweise elektronisch vom Arbeitgeber an die Krankenkasse übermittelt werden müssen. Das ist, sollte man zumindest annehmen dürfen, ein recht unproblematischer Vorgang. Die Daten liegen dem Arbeitgeber grundsätzlich ja vor. Mein Arbeitgeber vermittelt momentan jedoch recht erfolgreich einen gegenteiligen Eindruck. So habe ich heute nach mehrmaligen Anrufsversuchen endlich jemanden aus der Personalabteilung ans Telefon bekommen. Jene Person tischte mir dann brühwarm auf, dass diese Übermittlung der Daten bezüglich meines Gehalts an die Krankenkassen keinesfalls vor der nächsten Gehaltsabrechnung nächste Woche Montag getätigt werden könne. Das ist mit Verlaub eine bodenlose Frechheit! Ich meine, mal ganz im Ernst, wer soll denn bitte glauben, dass die EDV nur im Zusammenhang mit der aktuellen Gehaltsabrechnung in der Lage ist, elektronisch auf bereits erstellte Gehaltsabrechnungen zu zu greifen? Denn um diese geht es ja. Die bereits erstellten Gehaltsabrechnungen bis zur Beendigung meiner Lohnfortzahlungen Ende September. Das ist alles bereits im System vorhanden. Es muss lediglich weitergeleitet werden. Und die Höhe?! Per Fax sei das problemlos sofort möglich, nur elektronisch halt nicht. Ehm, ja... Danke für nichts!! Ich fühle mich richtig hart verarscht und Fürsorge sieht anders aus. So vergrault man seine Angestellten. Oder bringt sie, so wie in meinem Fall, so sehr auf die Palme, dass sie demnächst einmal dem Betriebsrat einen Besuch abstatten werden. So lasse ich mich halt echt nicht mehr kommentarlos behandeln - von niemandem.

Es ist eine Frechheit, wie in unserer Gesellschaft teilweise mit chronisch kranken Menschen umgegangen wird. Die - eventuell zeitlich begrenzte - Arbeitsunfähigkeit entwertet einen zum "faulen Stück" und "Sozialfall". Begrifflichkeiten, die nicht selten fallen und durch den angewandten Tonfall so richtig schön verletzend sind und leider oftmals auch genau darauf abzielen - Betroffene nieder machen und verletzen. Zudem fühlt man sich als chronisch Kranker gerade zu Beginn des Krankheitsprozesses oft im Stich gelassen, weil sich niemand so richtig verpflichtet zu fühlen scheint, einen über Behandlungsmöglichkeiten und das eigene Krankheitsbild, sowie notwendige Anträge oder ähnliches aufzuklären oder Prozesse zu unterstützen, die für eine mögliche Genesung unerlässlich sind. Alles muss aus Eigeninitiative heraus erfragt werden! Allem muss hinterher gelaufen werden. Ein Glück kann ich noch laufen! Aber was ist eigentlich mit den Leuten, die das nicht mehr können und die vielleicht niemanden haben, der sich um sie kümmert? Diese Frage stelle ich mir in letzter Zeit so oft. Was ist mit diesen Menschen? Wer hilft denen, die sich selbst nicht helfen können und keinen sozialen Rückhalt haben? Und ich kann das Gefühl nicht abschütteln, dass die Antwort beschämend, erschreckend und humanitär inakzeptabel ist.
Erkrankt man zudem bereits in jungen Jahren, womöglich sogar an multiplen Krankheitsbildern, so wird völlig irrational unterstellt, man habe halt einfach keine Lust zu arbeiten. Ich meine, klar, ist doch logisch: ich habe sowohl meine komplexe posttraumatische Belastungsstörung und damit einhergehende psychologische Krankheitsbilder, als auch das Rheuma, die Fibromyalgie und meine kaputten Bandscheiben darum gebeten aufzutreten, denn krank zu sein ist ja so viel geiler als gesund zu sein. Wer will schon gesund sein? Hängt ja irgendwie nur alles dran an der eigenen Gesundheit. Also, wer braucht die schon?! Ich hatte schon immer Bock, mich bereits im zarten Alter von 26 wie ein körperlicher und geistiger Totalschaden zu fühlen. Das sind Life Goals!! Oder halt eben auch nicht. Denn nichts davon habe ich mir ausgesucht. Nichts davon macht mir Spaß oder bereitet mir Freude. Ich steh nicht auf meine Schmerzen. Ich steh auch nicht auf meine Albträume, Flashbacks, Hallus und sonstigen Symptome. Alles nicht cool. Ich bin manchmal sogar richtig neidisch auf die gesunden Menschen in meinem Umfeld. Und dann muss ich mir ganz bewusst ins Gedächtnis rufen: "die haben auch ihre Päckchen zu tragen", denn andernfalls würde ich mich abschotten und diese Menschen einfach nur noch richtig kacke finden. Das ist ein Zustand, den ich nicht erreichen möchte.

Was ich dafür umso mehr möchte und hiermit fürs nächste Wunschkonzert anmelde: mehr Empathie. Dass chronisch Erkrankte keine Menschen zweiter Klasse mehr sind. Dass sich gegenseitig geholfen wird. Dass niemand abgehängt wird, wegen Leid, für welches der Betroffene nichts kann. Egal ob körperliche oder psychische Erkrankung - ich wünsche mir, dass ob sichtbar oder unsichtbar, Krankheiten wahrgenommen, akzeptiert, toleriert und auch respektiert werden. Jeder Mensch hat seine Stärken und trotz eventuell vorhandenem Handicap jedweder Art hat jeder einzelne Mensch auch etwas beizutragen, wenn man ihn lässt.

Integration steckt in ihren Babyschühchen und es ist die Aufgabe jedes einzelnen, dafür zu sorgen, dass sie bald ihre Kinderschuhe anziehen kann und dann coole Sneaker für Jugendliche und schließlich diese schnieken Anzugsschuhe, die manche Geschäftsleute so gerne tragen. Integration endet erst dann, wenn alle Menschen wirklich gleich sind.

Freitag, 20. September 2019

Odyssee des Schmerzes

Zu Besuch bei der Krankenkasse
Ich hätte da mal die eine oder andere Frage...

Ich hatte, wie ihr ja wisst, in den letzen Tagen bereits mehrfach beiläufig erwähnt, dass in meinem Kopf die eine oder andere Frage herum spukt. Und damit mich das nicht mehr ganz so fuchsig macht, boten mir eine Freundin und ihre Mutter an, mich zur Krankenkasse zu begleiten, da wir alle bei derselben Krankenkasse versichert sind und sie so selbst auch noch etwas klären konnten. Somit verabredeten wir uns am Dienstag Nachmittag im Anschluss an meine wöchentliche Therapiestunde bei der örtlichen Niederlassung unserer Krankenkasse.

Da das Gespräch mit der Kundenberaterin der Krankenkasse schwierig in einem Fließtext zusammen zu fassen wäre, werde ich euch an dieser Stelle in der Form eines fiktiven Interviews mit ins Boot holen. Es handelt sich hierbei ausdrücklich um keine Zitate, sondern ein Erinnerungsprotokoll meinerseits. Ich denke, dass diese doch recht allgemein gehaltenen Antworten dem einen oder anderen von euch auch noch behilflich sein könnten, weshalb mir wichtig ist, auch diese Erfahrung mit euch zu teilen.

Los geht's...

Wie berechnet sich das Krankengeld?

Das Krankengeld beträgt maximal 70% des Brutto- bzw. 90% des Nettogehalts. Hat man ein festes Grundeinkommen und verdient über dieses hinaus, zB durch ausgezahlte Überstunden oder Provisionierung, werden die zusätzlichen Verdienste der letzten drei Monate zur Berechnung heran gezogen.

Ab wann fällt man in den Krankengeldbezug?

Der Arbeitgeber ist zu einer Lohnfortzahlung über einen Zeitraum von 6 Wochen bei anhaltender Krankheit verpflichtet. Ab der siebten Woche übernimmt dann die Krankenkasse die Versorgung in Form von Krankengeld. Ist es für die Krankenkasse absehbar, dass eine Krankheit länger als 6 Wochen andauern könnte, kommt diese rechtzeitig schriftlich oder telefonisch auf einen zu, um das weitere Vorgehen besprechen zu können. Werden die 6 Wochen Lohnfortzahlung überschritten, lässt einem die Krankenkasse den Antrag auf Krankengeld schriftlich zukommen.

Wer muss das bisherige Gehalt nachweisen?

Die Krankenkasse fordert im Regelfall den Gehaltsnachweis elektronisch vom Arbeitgeber des Erkrankten an. Kommt dieser der Aufforderung über die Offenlegung des Gehalts nicht nach, wird er erneut dazu aufgefordert, das Gehalt des Erkrankten elektronisch zu übermitteln und offen zu legen. In solchen Ausnahmefällen kann es hilfreich sein, der Erkrankte übermittelt der Krankenkasse seine Gehaltsabrechnungen postalisch in Kopie oder ebenfalls auf elektronischem Wege.

Wann wird das Krankengeld ausgezahlt?

Zum Leidwesen vieler Betroffener kommt das Krankengeld eben nicht wie das Monatsgehalt zu einem festen Datum im Monat, sondern wird immer zum Ende der laufenden Krankmeldung hin ausgezahlt. Das gibt einerseits den Spielraum, wenn man dringend Geld braucht, zum Arzt zu gehen und sich eine kürzere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen zu lassen, andererseits kann es einen aber auch ganz schön ins Straucheln bringen, je nachdem wann Abbuchungen vom eigenen Konto erfolgen. Hier sollte ruhig mit Bedacht agiert werden. Grundsätzlich wird das Krankengeld als Tagessatz berechnet.

Wie lange kann man Krankengeld beziehen?

Für den Bezug von Krankengeld gilt bei gleicher Krankheit eine sogenannte Blockfrist von drei Jahren. Innerhalb dieser drei Jahre kann für eine Krankheit maximal 78 Wochen lang aufgekommen werden. Entscheidend hierbei ist die auf dem Krankenschein vermerkte ICD-Nummer, also der Diagnoseschlüssel. Außerdem ist wichtig zu wissen, dass sowohl Lohnfortzahlungen als auch etwaige Übergangsgelder zB von der Rentenversicherung während einer Reha-Maßnahme in diese 78 Wochen mit hinein zählen. Bezüglich der Lohnfortzahlung ist jedoch nach Ablauf eines Jahres bei gleichbleibender ICD-Nummer zunächst einmal wieder der Arbeitgeber über die regulären 6 Wochen hinweg in der Zahlungspflicht dem Erkrankten gegenüber.

Gibt es die Möglichkeit, Zuschüsse zum Krankengeld zu beantragen?

Gerade als Geringverdiener, muss ich sagen, ist die Minderung des Einkommens durch den anstehenden Krankengeldbezug ein ziemlicher Stressfaktor. Das Gehalt reicht sowieso schon nur knapp, um über die Monate zu kommen und dann bleibt einem am Ende sogar noch weniger: keine schöne Vorstellung. Jedoch erhält man von der Krankenkasse einen Bewilligungsbescheid, welcher es einem ermöglicht, Beihilfe bei unterschiedlichen Ämtern zu beantragen. So kann zum Beispiel ein Antrag auf Wohngeld gestellt werden, während man Krankengeld bezieht.

Welche Auswirkungen hat es auf mein Krankengeld, dass mein Kind über mich krankenversichert ist?

Keine direkten. Das Krankengeld steigt dadurch nicht. Der einzige Unterschied macht sich im Beitrag an die Pflegeversicherung bemerkbar, welcher vom Brutto-Krankengeld abgezogen wird. Hier verringert sich der Beitrag ein wenig, wenn man älter als 23 ist und ein Kind hat.

Ab wann kann ich eine Zuzahlungsbefreiung bei der Krankenkasse beantragen?

Grundsätzlich kann jeder und zu jeder Zeit eine Zuzahlungsbefreiung beantragen. Dabei wird dann das Jahresgehalt des Versicherten betrachtet, wovon regulär 2% vom Patienten für Medikamente und weitere ärztliche Verordnungen selbst getragen werden müssen. Um den Antrag stellen zu können, wird das Jahresgehalt des Versicherten benötigt, sowie jegliche Zahlungsnachweise über Medikamente/Verordnungen des laufenden Jahres. Deshalb gilt: immer schön Quittungen sammeln!
Bei der Zuzahlungsbefreiung kann ein mit versichertes Kind übrigens tatsächlich Vorteile bringen. So würde mir für meinen Sohn beispielsweise ein Kinderfreibetrag von 7620€ auf mein Jahresgehalt zugestanden.
Bei einer chronischen Erkrankung, welche einem der behandelnde Arzt über das so genannte Muster 55 bescheinigen kann, wird der Eigenbeitrag zudem von 2% des Jahreseinkommens auf 1% gesenkt. Um als chronisch zu gelten, muss eine Krankheit bereits seit einem Jahr oder länger beim selben Arzt behandelt werden.

Über welche Stelle kann ein Schwerbehindertenausweis beantragt werden?

Dieser Antrag läuft nicht über die Krankenkasse und leider ist auch das Antragsformular dort nicht zu erhalten. Grundsätzlich muss der Antrag an das Landesamt für soziale Dienste gestellt werden. Unterstützung hierbei findet man, wenn benötigt, beim ortsansässigen Integrationsfachdienst.

Das waren tatsächlich alle meine dringlichsten Fragen, welche ich gerade an meine Krankenkasse hatte. Ich hoffe, auch für euch war eventuell die eine oder andere interessante oder sogar hilfreiche Information dabei.

Eventuell wird es die nächsten Tage erst einmal wieder etwas ruhiger hier in der Wunderkotztüte. Nicht weil ich den Spaß am Schreiben erneut verloren hätte, sondern weil erstmal eine kleine Flaute ansteht. Die nächsten Arztbesuche sind noch hin, die Krankengymnastik pausiert nach meinem heutigen Termin auch erst einmal bis Anfang Oktober und in meinem Privatleben tut sich auch nichts außergewöhnliches. Außer dass auch Lieblingsmenschen einen doof sitzen lassen können und das extrem weh tut. Allerdings weiß ich nicht, ob ich darüber wirklich schreiben möchte, oder ob nicht schon genug dazu gesagt wurde.

Vielleicht entführe ich euch die kommende Zeit wieder ein bisschen in die Black Dog Story und erzähle euch von meiner ambulanten Therapie...

Donnerstag, 19. September 2019

Odyssee des Schmerzes

Unangenehme Nebenwirkungen
Schlaf- und Essstörungen gibt es momentan frei Haus

Natürlich wäre es angenehm, wenn die Schmerzen die einzig merklichen Symptome der ganzen Sache momentan wären. Aber das sind sie nicht. Und die ganzen Sorgen und Ängste, welche durch meine angeknackste Psyche sicherlich verstärkt werden, meine ich auch nicht. Klar, die sind nervig, aber tatsächlich kann ich dank der Therapie inzwischen so gut damit umgehen, dass ich, zumindest mit der Hilfe von Freunden, deren Ursachen an den Kragen gehen kann. Gestern zum Beispiel war ich in Begleitung einer Freundin und ihrer Mutter nach meiner wöchentlichen Therapiesitzung bei der Krankenkasse, um dort meine offenen Fragen zum Thema Krankengeld und Zuzahlungsbefreiung klären zu können. Dazu jedoch dann beim nächsten Mal mehr.

Heute geht es mir, wie der Subtitel dieses Kapitels bereits verrät, um zwei andere nicht ganz unwichtige Themenbereiche, die mich momentan zusätzlich zu allem anderen auch noch beschäftigen: die seit einem Monat immer stärker auftretenden Schlaf- und Essstörungen als Begleiterscheinung der akuten Krankheitsphase.

Ich kann euch ehrlich gesagt nicht einmal mehr sagen, wann ich zuletzt eine Nacht so richtig durch geschlafen habe. Und das liegt nicht daran, dass mein Kopf mich nicht lassen würde oder ich schlecht träumen würde. Ich träume zum Glück nicht bewusst und wenn, dann nur ganz ganz selten. Nein, es liegt tatsächlich an diesen vermaledeiten Rückenschmerzen. Anfangs weckten sie mich einfach nach gut 5-6 Stunden des Liegens und zumindest in der stabilen Seitenlage konnte ich noch halbwegs gut ein- und durchschlafen. Laut meiner Krankengymnastin zwar keine ideale Schlafposition, doch alles sei besser, als auf dem Bauch zu schlafen. Das dürfte ich momentan auf gar keinen Fall!
Nun gut, die Gefahr besteht auch nicht. Dank meiner recht großen Oberweite gibt es kaum eine unbequemere Schlafposition als die Bauchlage. Meine Brüste drücken mir dann gefühlt alles ab. Apropos Brüste: kleinere wären momentan sicher auch nicht verkehrt, so in Bezug auf meinen Rücken und ich hätte eh nichts gegen 2 Körbchengrößen weniger. Ich muss wohl wirklich dringend abnehmen. Aber zu  dem Problem mit dem Essen kommen wir ja gleich eh noch.
Eine stabile Seitenlage war also vorerst okay.
Doch meine Schlafsituation verschlechterte sich im Verlauf der Wochen zunehmend. Und meine Krankengymnastin sah sich gedrängt, mir eine neue Schlafposition in Rückenlage und mit Wärmflasche und Stützkissen für die Beine ans Herz zu legen, so dass meine Beine höher gelagert und mein Rücken in eine wohltuende Rundung versetzt würde. Die Wärme sollte zudem bei der Entspannung der Muskulatur helfen, was idealerweise zu einer Reduktion der Schmerzen führen würde. Jepp, idealerweise.
Nicht nur, dass die Rückenlage an sich schrecklich unbequem ist - auch ohne zusätzliche Rückenprobleme - ich bekam in der neuen Position endgültig kein Auge mehr zu. Der Bewegungsdrang wurde überwältigend und Nacht für Nacht begann ich die stützenden Kissen aus meinem Bett zu treten und die Wärmflasche zu verfluchen.
Zurück also zur stabilen Seitenlage. Nicht optimal, aber ja wenigstens okay. Die Rückenlage ist mir zudem momentan auch schon gar nicht mehr möglich, weil ich, seit meiner manuellen Therapie, also einer Druckpunktmassage, vor wenigen Tagen, jedes Mal schreien möchte, wenn etwas meinen Rücken berührt. Schreie fördern das Einschlafen tatsächlich eher weniger, so als kleiner Fun Fact am Rande.
Entschuldigt, ich werde langsam wirklich zynisch. Aber ist das ein Wunder?

Inzwischen wache ich seit Tagen mindestens drei bis vier Mal in der Nacht auf, wälze mich unruhig von einer Seite auf die andere und fühle mich morgens komplett erschlagen. Was nicht gerade zu meiner allgemeinen Zufriedenheit oder besserer Laune beiträgt. Um es mit den Worten einer heutigen Kurznachricht meinerseits an eine gute Freundin zu sagen: "Ich töte bald für eine durch geschlafene Nacht". Die Frage ist dann bloß wen...

Und ja, auch mit dem Essen habe ich so meine Probleme bekommen.
Auf der einen Seite sage ich einer Freundin stolz "Ich bemühe mich, Frustfressen ganz bewusst zu vermeiden", was gut ist, denn aus Frust zu essen hat noch niemanden weiter gebracht im Leben. Auf der anderen Seite fragt mich mein bester Freund, wie es momentan um meine Ernährung steht und ich muss ihm ehrlich sagen, dass ich ganz allgemein kaum noch esse. Mein Kopf hat nämlich entschieden: wer sich nicht bewegt, der braucht auch nicht essen. Was erstmal vielleicht auch gar nicht so verkehrt ist. Dummerweise bewege ich mich ja aber weiterhin. Laut meiner Fitnessapp auf dem Handy zum Beispiel war ich in der letzten Woche 480 Minuten körperlich aktiv und habe 214 so genannte Kardiopunkte erzielt - die WHO empfiehlt einem gesunden Menschen 150 wöchentlich. Und Krankengymnastik trage ich dort gar nicht mit ein, es handelt sich dabei also ausschließlich um meine Spaziergänge. Ihr findet den Fehler? Schön, ich auch. Ich ignoriere die Fakten bloß gekonnt, da mein Kopf ja entschieden hat und meine Psyche meinen Appetit quasi still gelegt hat. Ich schaffe auch bloß noch kleine Portionen. An gut 1,5 Litern Käse-Lauch-Suppe hatte ich die letzten vier Tage zu essen und war noch mürrisch mit meinem besten Freund, weil er nicht vorbei kam, um mir etwas ab zu nehmen. Dazu gab es ein Stück Brot am Tag. Und ich hätte noch eine Portion für heute aufbewahren können, wäre das mit der Haltbarkeit bei frischen Lebensmitteln und insbesondere Molkeprodukten nicht immer so eine Sache.

Okay, ihr erkennt das Problem. Ich esse zu wenig. Und ganz ehrlich: ich sehe keinen Anlass, das in nächster Zeit wieder zu ändern. Appetitlosigkeit eben...

Ich wäre wirklich froh und dankbar, diese Symptome wären nie zusätzlich zu den ganzen Schmerzen aufgetreten. Aber sie sind da und ich habe keine Ahnung, wie ich sie auflösen soll. Und glaubt mir, ich unterstütze mich schon mit Hilfe pflanzlicher Arzneien im Alltag, wie zB frisch aufgebrühtem Baldriantee zur Nacht.

Mittwoch, 18. September 2019

Odyssee des Schmerzes

Machine Gun Kelly
live @ Docks, Hamburg, am 13ten September in der Prinzenbar

Lange haben mein bester Freund und ich hin und her überlegt, ob zu fahren so eine gute Idee sein würde. Es stand die Idee im Raum, einen Campingstuhl oder sogar einen Rollator mit zum Konzert zu nehmen. Doch wirklich überzeugt war er zumindest im Voraus nicht von der Idee, überhaupt zu fahren. Und verübeln kann ich es ihm nicht. Jedoch kennt er meinen Dickkopf nun schon ein Weilchen und es war ihm wohl klar, wenn ich schon bereit gewesen war, unseren für die letzte Woche geplanten Kopenhagen-Urlaub auf Grund meiner gesundheitlichen Situation auf unbestimmte Zeit, jedoch mindestens bis zum nächsten Jahr, auf Eis zu legen, dann würde ich nicht auch noch bereit sein, unseren Besuch des Machine Gun Kelly Konzertes abzusagen. Ich bin, was sowas angeht, ein verdammter Sturkopf.

Also setzte ich mich durch. Er bekam das Auto seines Mitbewohners geliehen, wir trafen uns bei den Jungs vor der Haustür und machten uns auf den Weg. Um die Autofahrt so angenehm wie möglich zu gestalten, hatte ich die bereits zu dem Zweck bewährte Wärmflasche mit und natürlich einiges an Proviant. Unter anderem zwei Flaschen Mate, denn ich bin süchtig nach dem Zeug, und zusätzlich noch allerhand Süßkram. Laut Google Maps würde uns vor Hamburg ein nicht unerheblicher Stau erwarten, also hatte ich vorgesorgt.
Die Autofahrt verlief jedoch super entspannt. Wir hatten freie Fahrt auf der A21, unterhielten uns ein wenig über Gott und die Welt, wie es so schön heißt, und mir rutschte kurz ein etwas unpassender Kosename, beginnend mit "Scha" heraus, wobei ich das A einfach unfassbar lang zog und dann so lange schwieg, bis es vergessen schien. Total bescheuert, ich weiß. Aber ansonsten verlief die Hinfahrt komplett Zwischenfalls frei und der Stau erwartete uns schlussendlich erst in Hamburg, und zwar fußläufig. Denn als wir auf der Suche nach einem geeigneten Parkplatz an den Docks vorbei fuhren und ich die Schlange für das Konzert erblickte, stockte mir für einen Moment der Atem. Die Schlange war lang. Verdammt lang!

Da die Parksituation rund um die Reeperbahn eher nicht so dolle ist, entschieden wir uns schließlich in ein nahe gelegenes Parkhaus zu fahren. Von dort waren es nur wenige Minuten zu Fuß bis zum Veranstaltungsort und wenigstens das Auto stand so warm und trocken. Wobei das Wetter am letzten Freitag tatsächlich ziemlich gut war, weshalb auch wir warm und trocken in der unendlich wirkenden Schlange aus Machine Gun Kelly Fans standen. Und die Schlange wuchs und wuchs, wir waren bei weitem nicht das Schlusslicht. Zugegeben, ich vertrieb mir die Zeit mit Schadenfreude den armen Leuten gegenüber, die noch nach uns dort ankamen. Auch der Hinweis von Hase, irgendwelche Gangstertypen lauthals auszulachen sei sicherlich nicht eine meiner besten Ideen, konnte mein Gekicher nicht vollends unterdrücken. Notfalls wäre ja auch genügend Polizei vor Ort gewesen. Und was hab ich momentan schon groß zu verlieren?

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten wir den Einlass und die Taschenkontrollen und nachdem 50% von uns, welche nicht ich waren, um die Ausweiskontrolle doch noch einmal herum kamen, da sie ihr Alter doch auch ohne die ewige Suche nach dem Portemonnaie glaubhaft machen konnten, waren wir endlich am Ziel angekommen. Einem ziemlich gut gefüllten Ziel. Die Konzerthalle selbst war bereits knüppeldicke voll und so suchten wir uns einen ruhigen Platz mit Stehtisch etwas außerhalb im hinteren Bereich. Mit meinen Rückenproblemchen erschien uns das so oder so nicht die schlechteste Idee. Wir kamen also erst einmal richtig an und sondierten die Lage. Hase schaute, wo man überall gut und einfach an Getränke käme und ich stratzte los auf der Suche nach dem Merchstand, welchen ich auch recht schnell fand.
Nach guten fünf Minuten Smalltalk mit einem der Mercher, ich kann es einfach nie lassen, und um ein Bandana bereichert, kehrte ich dann in unsere gemütliche kleine Ecke zurück. Bloß um festzustellen, dass vor uns zwei Zwei-Meter-Riesen aus dem Boden geschossen waren. Diese entpuppten sich allerdings als ziemlich nette, rücksichtsvolle Jungs, welche sich nicht nur ein Mal erkundigten, ob wir denn auch einen guten Blick auf die Bühne hätten. Die zwei waren trotz ihrer für Konzerte echt fiesen Größe eigentlich ziemlich töffte.

Um 20 Uhr startete der Abend dann pünktlich mit Opening Act Amazonica, einer DJane aus London. Bereits bei ihrem Liveset fiel es mir durchaus schwer, die Füße still zu halten und ich begann fröhlich zu tanzen. Stets unter den skeptischen Blicken meines besten Freundes. Doch die Krankengymnastin hatte gesagt, Tanzen wäre gut für mich, also tanzte ich. Still stehen war ehrlich gesagt vom Schmerzpegel her auch keine wirkliche Option. Das verriet ich Hase zu dem Zeitpunkt jedoch lieber nicht. Er wirkte so schon besorgt genug. Nicht nur ein Mal bat er mich darum, mich nicht so zu verausgaben, dass er mich am Ende zum Auto tragen müsste. Als ob ich das jemals zugelassen hätte. Er kennt mich. Eher wäre ich zum Auto zurück gekrochen!
Das Liveset von Amazonica bot uns jedenfalls eine ziemlich fette Mischung aus HipHop, Rock, Metal und Reggae und ich kam nicht umher immer wieder zu betonen, wie hammer cool ich diesen Mix doch fand und wie genial die Übergänge gestaltet waren. Und obwohl die Mehrzahl der Leute natürlich für Machine Gun Kelly dort war, wir ja auch, konnte ich nicht verstehen, wie bei diesem DJ-Set so viele Füße ruhig stehen bleiben konnten! Gut, dass nicht jeder so hart auf Manson, System of a Down, Papa Roach, AC/DC, Nirvana und Co abgehen würde wie ich, war wohl auf einem HipHop Konzert zu erwarten. Trotzdem schade, ihr Musikbanausen!
Immerhin wurde Amazonica mit einem wohl verdienten Applaus von der Bühne verabschiedet. Ein Umstand, den ein gewisser Herr, den ich sehr lieb habe, fast nicht mitbekommen hätte. Zum Glück hat er ja einen persönlichen Nervbolzen mit Live-Ticker Funktion aka Moi.

An dieser Stelle sei erwähnt, dass das Bühnenbild des Abends der helle Wahnsinn war. Schon bei Amazonica hatte man sich nicht lumpen lassen und das Logo der Künstlerin mit allerlei optischen Effekten unterlegt. Das versprach verdammt viel und Machine Gun Kelly übertrafen mit der eigenen Bühneninszenierung bei weitem alle Erwartungen, die wir hatten. Um es mit Hase zu sagen: "Anfangs dachte ich noch, mit Acid wär das alles sicher richtig nice. Am Ende hätte ich mich davor gefürchtet, Acid intus zu haben" und recht hatte er. Besser lässt sich das Ganze auch leider nicht beschreiben und ich werde gar nicht erst versuchen, es in Worte zu fassen.

Nach einer halbstündigen Umbaupause war es jedenfalls so weit: das Bühnenbild wurde reaktiviert, wir befanden uns auf einer animierten Straße, auf dem unteren Teil der Bühne war ein Taxi zu sehen und die Melodie von Sex Drive, dem Intro zum aktuellen Album Hotel Diablo ertönte. Während des Songs änderte sich mehrfach die LED-Projektion und schließlich erschien die Anweisung "Scream to Enter", welcher mindestens 1000 Fans liebend gern nachkamen. Ich fing dann wenige Sekunden später an zu quietschen, als die Band und zu guter letzt Colson die Bühne betraten. Holy Shit, der Mann ist heiß! Ich schäme mich nicht das zu sagen. Dünn, groß, muskulös - Träumchen! Zumindest für jemanden wie mich, der es eher hager und schlacksig mag. Verurteilt mich nicht.
Machine Gun Kelly spielten insgesamt ein mehr als anderthalb stündiges Set und ich war auf extrem vielen Ebenen beeindruckt. Sei es, weil der Gitarrist der Band sowohl mit seinen Zähnen als auch hinter dem Rücken spielen konnte und hammer gute Soli raus haute, oder weil Drummer Rooke sowohl seine Drumsticks drei Meter in die Höhe werfen und problemlos wieder fangen, als auch mit von Colson mit einem Bandana verbundenen Augen fehlerfrei weiter spielen konnte. Sucht es euch aus. Das sind ein paar verdammt talentierte Musiker!
Mein persönliches Highlight des Abends? Der gelungene Abstecher zur Verfilmung der Mötley Crüe Biographie The Dirt, in welcher Colson eine der Hauptrollen als the one and only Tommy f*cking Lee gespielt hat. Ja, ich bin Mötley Crüe Fan. Eigentlich hauptsächlich von Nikki, aber darum geht es ja jetzt auch nicht. Sondern es geht darum, dass Colson sich an die Drums gesetzt hat und ganz geschmeidig einen Ausschnitt aus Shout at the Devil, einem der bekanntesten Crüe Songs gespielt hat. Ich will nicht sagen, dass ich ausgeflippt bin, aber ich bin ausgeflippt vor Freude.
Ansonsten folgte am letzten Freitag in der Prinzenbar generell ein Sahnehäubchen dem anderen. Ob Habits, Lately, GTS, Let You Go, Bad Things oder auch 'Till I Die, die Klassiker kamen genauso wenig zu kurz wie die neuen Tracks von Hotel Diablo. Als kleines Zückerli folgte im Set auf Floor 13, wovon Hase mir ja nie glauben wollte, dass es sich um einen weiteren Disstrack gegen Eminem handelt, direkt Rap Devil. Danke, die Diskussion hätte ich damit auch endgültig gewonnen. Standpunkt erfolgreich unterstrichen. Und den aktuellen Hit I think I'm okay featuring Youngblud und Travis Barker gab es einfach mal direkt zwei Mal hintereinander auf die Ohren - zunächst in einer Album-, dann ich einer Solo-Version.

Ganz ehrlich, zu meckern gab es an diesem Konzertabend absolut gar nichts!
Tolle Fans, eine tolle Stimmung, eine wunderbare Bühnenshow, talentierte Musiker, Herzblut und Hingabe bildeten eine perfekte Einheit für ein unvergessliches Konzerterlebnis.

Ich war nach dem Ganzen so vom Hocker geblasen, dass mein Hirn anschließend bloß noch auf Sparflamme zu arbeiten bereit war. Kurzum: ich hab die Navigation von der Reeperbahn zurück auf die A21 gehörig verkackt. Aber wenigstens hab ich nicht Nickelback und Linkin Park verwechselt. Sorry, Hase, aber dir unterlaufen so selten gravierende Fehler, das darf nicht in Vergessenheit geraten. Ich hab dich trotzdem unendlich doll lieb! Dafür, dass ich darauf ein Weilchen rum geritten bin, wäre ich fast auf der Autobahn ausgesetzt worden. Das Risiko war es mir allerdings wert.

Zusammengefasst kann man sagen: das war der erste richtig gute Abend seit das mit meinem Rücken seinen Anfang genommen hat und ich bin unendlich dankbar dafür, dass wir diesen Ausflug gewagt haben! Auf unseren Urlaub mussten wir verzichten, aber wenigstens nicht hierauf.

Schmerzlich gesehen ging das Ganze sogar unerwartet gut vonstatten. Natürlich war ich während des Abends nicht schmerzfrei, doch das bin ich, wie ich inzwischen ja schon oft genug dargelegt habe, momentan eh nie. Aber durch die stete und doch begrenzte Bewegung beim Tanzen während des Konzerts, den kleinen Fußweg davor und danach und die Wärmflasche während zumindest einer der Autofahrten blieben die Schmerzen den gesamten Abend über auf einem gut erträglichen Level. Dazu muss gesagt sein: nur Stillstand ist wirkliches Gift für meine Wirbelsäule. Das heißt den ganzen Abend über zu sitzen oder still zu stehen wäre bei weitem schädlicher und schmerzhafter für mich gewesen. Somit habe ich mir mit diesem Konzert keinerlei zusätzlichen Schaden zugefügt. Und am Samstag und Sonntag habe ich natürlich nochmal ganz besonders darauf geachtet, durch meine Krankengymnastikübungen und den Gebrauch meiner Wärmflasche einen Ausgleich zum Freitag Abend zu schaffen.

Mir ist einfach wichtig, dass ich, bloß weil ich gerade ein akutes Rückenleiden zu bekämpfen habe, nicht komplett den Spaß am Leben verliere. Denn ich darf nicht vergessen, dass meine Psyche schon vor diesem Vorfall angegriffen war. Ich muss jetzt doppelt gut auf mich Acht geben und das ist nicht einfach...

Dienstag, 17. September 2019

Odyssee des Schmerzes

Der Besuch beim Neurochirurgen
Endlich einmal eine gute Nachricht!

Am letzten Freitag war es ja nun endlich so weit und ich hatte meinen ersten Termin beim Neurochirurgen. Den Warnungen meiner Krankengymnastin zufolge hatte ich damit rechnen müssen, von einem durchgeknallten Operateur in OP-Schürze und mit noch vom letzten Eingriff blutigem Skalpell in Empfang genommen zu werden. Doch natürlich war dem nicht so. Ganz im Gegenteil. Meine mich begleitende Freundin und ich wurden nett und freundlich vom Vater der Kindergarten- und nun Schulfreundin meines Sohnes in Empfang genommen. Die Welt ist eben klein!

Ich setzte mich also hin und wir machten die Anamnese: Bandscheibenvorfall vor 10 Jahren, OP vor 9 Jahren, ein Kind, lebt aber nicht bei mir, Fibromyalgie seit letztem Jahr diagnostiziert, schwere Depressionen, Posttraumatische Belastungsstörung, suizidale Tendenzen. Immer wenn ich das einem neuen Arzt aufzählen muss, fühle ich mich so richtig schön kaputt. Und ich weiß nie so recht, ob ich nicht vielleicht sogar noch etwas vergessen habe. Was wollen die Ärzte denn alles wissen? Muss ich nur aktuell relevante Dinge aufzählen oder wirklich alles, was ich bisher so hatte? Sind die wiederkehrenden Nierenbeckenentzündungen auch wichtig? Ist die Myositis von vor einigen Jahren von Interesse? Man, es war doch einfach schon so verdammt viel...

Als nächstes schauten wir alle gemeinsam die Bilder aus dem MRT an.
Der Doc erkannte sofort eine Fehlstellung meiner Lendenwirbelsäule, die sowohl angeboren als auch über die Jahre hinweg aufgetreten sein könnte. Meine Lendenwirbelsäule biegt sich irgendwie seltsam seitlich weg. Ich weiß nicht recht, wie ich das beschreiben soll. Sie macht einen Bogen, wo keiner sein sollte. Anstatt gerade nach unten weg zu gehen, beugt sie sich nach links.
Dann zeigte er uns meine Bandscheiben. Zunächst die gesunden, damit wir einen Unterschied erkennen würden. Dann die kaputten, welche in seinen Augen aber gar nicht so schlimm aussahen. Ich erkannte ehrlich gesagt nichts. Außer den Blubsis, die ich auch zuvor schon als ungesund identifiziert hatte. Besagte Blubsis sind wohl die Bandscheibenprotrusionen und der Prolaps. Man könnte also sagen: Blubsis irgendwie süß, aber böse.
Nach den Blubsis zeigte er uns eine Entzündung in meiner Beckenpfanne, von der wohl ein Teil meiner Schmerzen ausgeht und die man, da ich ja keine Schmerzmittel nehmen möchte, mit Cortisonspritzen behandeln könnte. Da ich jedoch nicht bereit war, mich direkt für die Cortisonspritzen zu entscheiden, stellte er zunächst lediglich eine neue Verordnung für Krankengymnastik und zusätzliche Fango aus.
Dann zeigte er uns, wie die Nervenkanäle in der Wirbelsäule verlaufen und erklärte, dass es wichtig sei, dass diese frei liegen würden. Als hauptsächlich bedrängten Nerv identifizierte er schließlich meinen Ischiasnerv, was er später durch ein gezieltes Drücken in mein Gesäß bestätigte. Aua!
Und als wäre das noch nicht genug gewesen, fiel gegen Ende der etwas makaberen Diashow noch der glorreiche Satz: "Ah ja, und hier fehlt ein Stück vom Knochen!" Wie jetzt, ein Stück vom Knochen fehlt? Ja, mir fehlt ein Stück von einem Knochen, weil nämlich die Operation von vor 9 Jahren, welche mir als endoskopischer, minimal invasiver Eingriff erklärt wurde damals, gar kein solcher gewesen sei. Diese Art des Eingriffs würden nämlich deutschlandweit nur eine Hand voll Experten überhaupt durchführen können und in Kiel säße keiner davon. Das war dann so der kleine Fun-Fact am Rande. Haha. Witzig. Nicht.

Es folgte die körperliche Untersuchung. Reflexkontrolle in Armen und Beinen, ein bisschen schmerzhaftes Herumgedrücke in Rücken und Gesäß und schließlich die Entwarnung: eine Operation wird vorerst nicht notwendig sein.

Wir verabschiedeten uns also freundlich bis zum nächsten Mal in 3-4 Wochen und ich konnte verwirrt, aber doch erleichtert, den Rest des Tages begehen. Und die erste Maßnahme nach einem solch aufwühlenden Termin lautete natürlich: Besuch im Stammcafé!

Montag, 16. September 2019

Odyssee des Schmerzes

Vier Wochen Schmerz
Und kein Ende in Sicht...

Wie ist das eigentlich, wenn man ständig Schmerzen hat? Und ich rede nicht von einem kleinen Ziepen mal hier oder dort. Ich spreche von richtigen Schmerzen. Solche, die einen überlegen lassen, ob es sich überhaupt lohnt gegenan zu gehen. Solche, bei denen man sich fragt, ob Akzeptanz nicht der einfachere Weg wäre, die aber zu stark sind, als dass man sie einfach als gegeben hinnehmen könnte. Wie ist das?

Es ist ermüdend. Körperlich und seelisch ermüdend. Zumal einem keiner sagen kann ob und wann das Ganze wieder aufhört. Zwar sagen sie, ich hätte gute Chancen. Aber auf was eigentlich? Die Frage lassen sie offen. Allgemein wird von medizinischer Seite her momentan ganz viel lieber offen gelassen. Wahrscheinlich, damit alle Möglichkeiten gegeben bleiben und ich am Ende niemandem vorwerfen kann, man habe mir irgendeine Besserung versprochen.
Schwammige Aussagen gehen Hand in Hand. Der eine rät zur Stärkung der Muskulatur, der andere sagt: "Dafür ist es viel zu früh, die Muskulatur muss erst einmal gelockert werden und entspannen.", der nächste meint, die Entzündung müsse erst einmal abklingen. Doch einig sind sich alle wenigstens in einem Punkt: für eine richtige Reha bin ich noch viel zu "akut". Und ich stelle ganz vorsichtig die Frage: "Reha, das auch noch?", denn ich sehe die Zeit vor meinem geistigen Auge verstreichen und dieses Jahr bald enden.

Am Liebsten sind mir aber ja eh die Leutchen, welche doch ernsthaft meinen, weil ich seit einem Jahr mit Fibromyalgie diagnostiziert bin, wäre ich Schmerzen eh gewohnt und deshalb könne das mit dem Rücken doch jetzt gerade eigentlich gar nicht so schlimm sein. Nein, natürlich nicht. Der eine Schmerz relativiert den anderen. Brichst Du dir die Hand und ich breche dir darauf hin zusätzlich noch ein Bein, dürfte das Bein doch gar nicht mehr so schlimm sein. Du kennst den Schmerz doch schon aus der Hand.
Bitte? Was ist das für eine bescheuerte Logik? Manchmal frage ich mich wirklich, ob die Menschen heutzutage so dumm geboren werden oder ob die Gesellschaft einen irgendwann so dumm macht. Solche Aussagen sollten einem gar nicht erst über die Lippen kommen dürfen bei auch nur andeutungsweise vorhandener Intelligenz und einem wenigstens in groben Zügen gegebenem Moralverständnis.

Ich relativiere eure Päckchen, Probleme und Gebrechen nicht - wagt es also nicht bei meinen!

Doch die schwammigen oder Intelligenz abstinenten Aussagen meiner Mitmenschen sind natürlich nur ein Teil des Problems. Ehrlich gesagt, habe ich auch trotz unbefristeten Arbeitsvertrages nicht das Gefühl, man wird mich in der Firma behalten wollen nach der ganzen Sache. Meine Vorgesetzten klingen, vorsichtig gesagt, skeptisch bei der momentanen Sachlage. Sie sprechen von Wiedereingliederung, wo aus medizinischer Sicht noch nicht einmal von Rehabilitierung gesprochen wird. Am liebsten wäre der Wiedereinstieg zur neuen Schulungsphase - beginnend zum ersten Oktober diesen Jahres. Bei dem Gedanken entfleucht mir höchstens ein leises Lachen. Und es ist zwar bloß ein Gefühl, aber man kennt ja den Arbeitsmarkt. Und ich bekomme den Druck doch zu spüren. Mein Arbeitsplatz mag ja vieles sein. Aber sicher?
Um für den Arbeitsmarkt und Arbeitgeber interessant zu bleiben, trotz meiner nun körperlichen Einschränkung und der ja eh schon lange gegebenen psychischen Einschränkungen, überlege ich nun tatsächlich einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen. Da habe ich mich zwar jahrelang gegen gewehrt, doch ich fürchte, so langsam ist der Zeitpunkt gekommen, an dem das durchaus sinnvoll wird. Zumal ein solcher Ausweis es wohl der Firma noch einmal erschweren würde, mich loszuwerden.

Aber die Zeit sitzt mir gefühlt nicht nur in Bezug auf die Arbeit im Nacken. Ich bin Geringverdiener, rutsche bald ins Krankengeld und damit, salopp gesagt, mit Anlauf unter die Armutsgrenze. Dass das nicht gerade Jubel und Begeisterungsstürme bei mir auslöst, brauche ich wohl nicht zu erklären. Es ist ein absolut beschissenes Gefühl, sein eigenes Geld verdienen zu wollen und ja auch Arbeitnehmer zu sein, aber es nicht zu können, weil der Körper meint: "Sorry, aber ich mache hier gerade nicht mehr mit".

An manchen Tagen frage ich mich, ob es leichter wäre, hätte es irgendein auslösendes Momentum für das Ganze gegeben. Einen Sturz, einen Schlag auf den Rücken, irgendwas. Doch dann denke ich mir wieder: "Was hätte es geändert?", und ich fürchte, die Antwort lautet "nichts". Es hätte nichts an der Gesamtsituation geändert. Die Schmerzen blieben gleich, die Ungewissheiten und Sorgen ebenso. Und ob ich dadurch psychisch besser mit allem fertig würde, sei nochmal dahin gestellt. Das kann ich mir jetzt natürlich einreden. Doch es steht auf der Seite eines Buches, welches so nicht geschrieben wird.

Dieses Buch schreibt sich nun einmal genau so, wie es sich für mich zugetragen hat. Keine Auslöser, keine einfachen Erklärungen...

Ich kann nur dankbar sein, für die Stütze und den Halt, welche ich aus meinem Freundeskreis heraus erfahre. Für das Rausholen am Wochenende, die Gespräche bei Tee im Café, die Gesellschaft bei mir daheim, die kleinen Spaziergänge, das viele Zuhören, die Tipps und Ratschläge, sowie die Begleitung zu wichtigen Terminen. Und ich bin da dankbar für. Sehr sogar. Denn ohne wüsste ich nicht, wie ich diese Zeit überstehen sollte. Einer solchen Flut ist ohne genügend Ankerpunkte leider nur sehr schwer Stand zu halten...

Sonntag, 15. September 2019

Odyssee des Schmerzes

Krankengymnastik
Schmerzverlagerung durch Muskelkater

Da mir irgendwie niemand so richtig erklären konnte oder wollte, was denn nun los ist mit meinem Rücken, erschien es nur sinnvoll, mich erst einmal in die Krankengymnastik zu schicken. Und der Krankengymnastin erschien es, auf Grund meiner Vorgeschichte, natürlich sinnvoll, erst einmal meine Muskulatur zu stärken. Also machte ich in den letzten zwei Wochen so viel so genanntes Core-Training, also Training um die Kernmuskulatur des Körpers zu stärken, wie in den letzten 10 Jahren nicht.

Meine Krankengymnastin ist eine recht rüstige ältere Dame, deren Methoden manchmal etwas hart erscheinen. Doch mit der Zeit merkt man, dass das eben einfach ihre Art von Fürsorge ist. So Sätze wie: "Sie dürfen nie wieder das Haus verlassen, ohne ihre Rückenübungen gemacht zu haben!", klingen natürlich zunächst einmal ganz schön krass, aber man gewöhnt sich an diese Form von Nachdrücklichkeit. Und sie hat ja auch nicht unrecht.
Außerdem hat sie auch diese weiche Seite an sich, die einem erzählt, wir schreiben mit den Übungen, die wir machen ein Gedicht und jede neue Übung bildet einen neuen Vers unseres Gedichts. Das sind ihre Bob Ross Momente der Krankengymnastik.

Also, unser Gedicht ist eines über das Liegen. Bewegtes Liegen, könnte man sagen. Und bisher geht es folgendermaßen:

Wipp die Füße gemeinsam im Takt, hoch die Spitzen, 20 Mal
Und nun wechseln die Füße sich schön ab, beide 20 Mal, die Zehen zum Schienbein
Wichtig sind die angezogenen Beine mit gebeugten Knien! 
10 Mal kneif die Pobacken zusammen und dann hoch in die Brücke
Zur Entspannung mit den Beinen schaukel 20 Sekunden lang 
Nimm dir einen Hocker zu Hilfe, leg die Unterschenkel auf ihm ab
Und nun stemme 20 Sekunden erst das linke, dann das rechte Bein von dir weg
Nicht vergessen, den Brustkorb zu heben!
Und nun gerade vor beide Beine weg. Stemm sie weg!
Und nun stemm sie auseinander und zusammen.
Immer schön 20 Sekunden halten bei drei Wiederholungen. 
Ein Mal ist Kennenlernen,
Zwei Mal ist Erinnern,
Drei Mal ist Training.
Wir machen Training! 
Und nun fahren wir Fahrrad.
Erst das eine, dann das andere Bein.
20 Sekunden auf dem Fahrrad sollen sie sein. 
Und nun werden wir dynamisch.
Die Ellbogen wollen die Knie grüßen,
Der rechte das linke,
Der linke das rechte.
Und immer schön in die Übung hinein atmen.

Um den Rücken ein wenig zu entspannen bei dieser doch recht anstrengenden Prozedur, empfiehlt es sich, eine Wärmequelle im Rücken zu haben. Bei der Krankengymnastik ist es ein Wärmekissen mit Fangofüllung, was sehr angenehm ist. Zuhause verschafft mir die Wärmflasche Abhilfe.

Ich muss allerdings zugeben, dass die Frage,ob mir die Krankengymnastik hilft, mich jedes Mal ein wenig überfordert. Ich kann wirklich nicht sagen, ob sich an der körperlichen Gesamtsituation schon etwas geändert hat. Wenn man einen Monat lang ständig in irgendeiner Form Schmerzen hat, Nervenschmerzen, also wirklich schlimme Schmerzen, wie meine Krankengymnastin zu betonen nie müde wird, dann verschwimmt alles auf seltsame Art und Weise zu so einer Art Schmerzbrei. Und ich habe ehrlich gesagt noch nicht gelernt, innerhalb dieses Schmerzbreis zu differenzieren. Mein linkes Bein tut irgendwie immer in irgendeiner Form weh, manchmal piekst es mich im linken Fuß, manchmal wirkt der Knöchel kribbelig taub oder das Knie wirkt seltsam losgelöst vom Bein. Im rechten Bein merke ich hingegen weniger. Da kribbelt vielleicht mal der Knöchel oder es entsteht etwas Druck im Fußrücken. Aber was macht das schon im Vergleich zur linken Seite? Und der Rücken? Mal tut er weh, mal nicht, mal weiß ich es nicht, weil der Brei zu breiig ist. Eventuell habe ich mich an manche Schmerzpunkte auch schon gewöhnt. Zumindest im Alltag. Oder ich mache unterbewusst durch Schonhaltungen alles kaputt. Woher soll ich es wissen? Mein Körper fühlt sich so fremd an. Wir müssen erst noch irgendwie wieder zu einander finden. Und wie das gehen soll, das scheint mir niemand so recht erklären zu können. Oder ich bin zu dumm, es zu verstehen. Vielleicht nicht zu dumm, aber immer noch ganz grundsätzlich viel zu überfordert.

Das war ein verrückter Monat. Alles ändert sich in irgendeiner Form. Und ich habe noch immer so viel Fragen, welche meinen Kopf durchschwirren und mir nicht selten Kopfschmerzen bereiten...

Samstag, 14. September 2019

Odyssee des Schmerzes

Der Befund ist da
Hat mal jemand 'nen Übersetzer "Mediziner - Deutsch" parat?

Befund: 
Voraufnahmen zuletzt vom 04.03.2010 zum Vergleich vorliegend.
Keine Fraktur der unteren BWS, der LWS oder des teilerfassten knöchernen Beckens. Keine raumfordernden entzündlichen oder neoplastischen spinalen Prozesse abgrenzbar bei unauffälliger Abbildung der kaudalen Myelonanteile. Bilaterale Spondylarthrose der Bewegungssegmente LW III/IV bis LW V/SW I, betont im Segment LW IV/V rechts.
Im Übrigen Abbildung folgender segmentbezogener degenerativer Bandscheibenveränderungen:
LW III/IV: Breitbasige Bandscheibenprotrusion mit nach inferior gerichteter Anulusfissur, zentral mit Pelottierung des Duralschlauches, dabei marginale Tangierung der L4-Wurzeln beidseits rezessal (eine Nervenwurzelbedrängung ist hier allerdings nicht ersichtlich). Marginale Tangierung auch der L3-Wurzeln beidseits foraminal.
LW IV/V: Exzentrischer Disc-Bulge mit rezessaler Bedrängung der L5-Wurzel rechts und Tangierung der L5-Wurzel links bei bilateraler Rezessusstenose (rechts mehr als links). Marginale Tangierung der L4-Wurzeln beidseits foraminal.
LW V/SW I: Nach kaudal umgeschlagene mediane Diskusextrusion mit Tangierung der S1-Wurzeln beidseits rezessal.
 
Beurteilung: 
LW IV/V: Partiell nach kaudal umgeschlagener exzentrischer Disc-Bulge mit Bedrängung der L5-Wurzel rechtsrezessal und Tangierung der L5-Wurzel linksrezessal bei bilateraler Rezessustenose (rechts mehr als links).
LW V/SW I: Nach kaudal umgeschlagene mediane Diskusextrusion mit rezessaler Tangierung der S1-Wurzeln beidseits.
Bilaterale Spondylarthrose der Bewegungssegmente LW III/IV bis LW V/SW I mit Punktum maximum im Segment LW IV/V rechts.

Ja, wow. Das liest sich erstmal... Ja, wie liest sich das eigentlich? Ziemlich undurchsichtig für den Laien und ich muss sagen, bei medizinischen Befunden wünscht man sich im ersten Moment irgendwie immer erst einmal noch einen Anhang mit der Übersetzung für Dummies. Oder eine behandelnde Ärztin, die wenigstens ein bisschen übersetzt und nicht einfach nur den Befund und eine Überweisung zum Neurochirurgen, sowie die neue Krankschreibung und eine Verordnung für Krankengymnastik drucken und zur Abholung bereit legen lässt. Naja, immerhin lag dem Ganzen noch die Visitenkarte eines Neurochirurgen bei.
Und inzwischen hatte ich ja auch einige Tage Zeit, mich mit dem Befund auseinander zu setzen. Was ich als Laie verstehe ist, dass zum Glück nichts gebrochen ist. Desweiteren verstehe ich, dass meine Lendenwirbelsäule ziemlich im Eimer ist, irgendwelche Nervenwurzeln bedrängt werden, wodurch diese abartigen Schmerzen entstehen, meine Bandscheiben vieles machen, nur scheinbar nicht, was sie sollen und meine Wirbel rheumatisch bedingt irgendwie verknöchert sind. Klasse! Ganz toll. Nicht.

Während ich diesen Text verfasse, bin ich nur noch drei Stunden von meinem ersten Termin bei besagtem Neurochirurgen entfernt. Vermutlich wird der mir mehr zu dem Ganzen sagen und erklären können, wenn er sich denn hoffentlich die entsprechende Zeit für mich und meinen Fall nimmt. Ist ja leider auch immer reine Glückssache. Laut meiner Mutter sind jedoch zumindest die Rezensionen zu ihm im Internet gut und er ist wohl niemand, der leichtfertig Operationen anordnet. Und auch eine Freundin meinte, ihr Osteopath hält ihn für einen guten Arzt. Das macht mir zumindest ein wenig Hoffnung für den Termin nachher. Ich werde dann an anderer Stelle ausführlich dazu berichten.

Gerade kann ich nur sagen, einen solchen Befund samt Überweisung zum Neurochirurgen in die Hand gedrückt zu bekommen, ist ein richtig beschissenes Gefühl. Denn allein schon das Wort "Chirurg" triggert. Sofort schießt einem die Angst vor einer (in meinem Fall erneuten) OP an der Lendenwirbelsäule in den Kopf. Ich wurde direkt von einer Flutwelle aus Erinnerung, Angst und unverarbeitetem Trauma erfasst. Nun belasteten mich nicht mehr nur noch die Schmerzen, die Ungewissheit, die bescheuerte Situation auf Arbeit und das Gefühl der Einsamkeit und Isolation. Nein, ich hatte nun auch noch Angst vor dem, was der Facharzt sagen oder entscheiden könnte.

Jetzt, Freitag Vormittag, so wenige Stunden vor dem Termin ist die Angst glücklicherweise abgeflacht. Ein Schutzmechanismus. Und ich werde mich, genau wie zum MRT, auch diesem Termin nicht ohne Begleitung stellen müssen. Dennoch kann ich nicht im Geringsten behaupten, es ginge mir gut mit all dem. Denn es geht mir beschissen. Bald rutsche ich ins Krankengeld und die Existenzangst dadurch ist nicht zu unterschätzen. Doch auch darum werde ich mich mit Unterstützung kümmern.

Das Leben geht weiter und an die ganzen Ungewissheiten werde ich mich gewöhnen müssen. Niemand konnte mir in den mehr als vier Wochen bis heute sagen, wie es weiter gehen wird. Und morgen, wenn ihr das hier lest, wird diese Odyssee bereits einen ganzen Monat über andauern...

Freitag, 13. September 2019

Odyssee des Schmerzes

Warten auf den Befund
Die Ungewissheit macht einen wahnsinnig

So schnell ich den Termin für mein MRT der Lendenwirbelsäule erhalten haben mochte, auch ich kam nicht um eine quälend lange Wartezeit herum, bis der Befund endlich bei meiner Ärztin eintrudelte. Und diese Wartezeit machte mich von Tag zu Tag mehr und mehr mürbe. Sie schadete nicht nur meiner eigenen Psyche, sondern auch meinem Umfeld. Ich wurde von Tag zu Tag angespannter, wusste nicht wohin mit mir und meinen Schmerzen. Mücken wurden zu Elefanten. Ich wurde immer emotionaler, verletzlicher, angreifbarer. Ich suchte nach Halt. Verzweifelt.

Wo mich das hin gebracht hat? In ziemlich beschissene Situationen.

Zum einen ist es psychisch natürlich extrem belastend, wenn man weiß, irgendetwas stimmt mit einem nicht. Man hat extreme Schmerzen und weiß nicht genau woher. Man merkt, man kann körperlich nicht mehr so agieren, wie noch in der Woche zuvor. Die große Frage nach dem "Warum?" schwebt mahnend über einem und gleichzeitig quält einen die schreckliche Ungewissheit des "Wie lange?".

Zum anderen kann man sich in einer solchen Situation unfassbar schwer erklären. "Ich habe Rückenschmerzen. Ich glaube, es könnte etwas mit meinen Bandscheiben sein. Ich rechne ein bisschen mit einem Bandscheibenvorfall. Ich weiß es aber nicht. Ich war im MRT und warte auf den Befund. Wann der Befund ankommt, weiß ich ebenfalls nicht", so mein Standardtext die kommenden zwei Wochen nach meinem unglücklichen Besuch in der Röhre. Das ist nicht nur für einen selbst eine absolut unbefriedigende Aussage. Arbeitgeber, durfte ich feststellen, finden das auch eher unglücklich. Das bekam ich in einem Termin bei unserem Firmen internen Berufseingliederungsmanagement in der folgenden Woche deutlich zu spüren. Am Ende waren alle beteiligten Parteien so frustriert, dass die für mich zuständige BEM-Mitarbeiterin recht ungehalten meinte: "Naja, Du bist ja halt auch kein Arzt", und ich mir ein "Shit, Sherlock, ernsthaft?!" gerade noch so verkneifen konnte. Was erwartete man denn in diesem Moment da auch von mir? Ich hatte doch selbst keine einzige Antwort auf alle meine Fragen.
Natürlich blieb ich dennoch ruhig und freundlich. Was sollte ich auch machen? Gegenanstänkern? Schlechte Idee. Schon wieder brav zu allem "ja" und "amen" sagen? Ne, sorry, dafür war mein Schmerzpegel inzwischen dann doch zu hoch. Also? Klappe halten, mich für das Gespräch bedanken, gehen und mich bei meinem derzeitigen (noch-)Teamleiter über das Ganze auskotzen. War vielleicht auch nicht die galanteste Lösung, aber immer noch besser, als tatsächlich mit einem "Shit, Sherlock, ernsthaft?!" um die Ecke zu kommen.

Und natürlich bekommt auch das private Umfeld so seine Auswirkungen des Ganzen zu spüren. Man ist plötzlich nicht mehr so geduldig mit seinen Freunden und Mitmenschen, wie man es sonst vielleicht immer gewesen ist. Plötzlich will man sich selbst in irgendeiner Form in den Fokus gerückt sehen. Man möchte und braucht Aufmerksamkeit, denn man fühlt sich nicht nur ein bisschen aus der Bahn sondern ziemlich doll aus dem Leben geworfen. Das soziale Umfeld schrumpft zusammen und man hat keine Ahnung, wann der Urzustand wiederhergestellt sein wird, geschweige denn, ob das überhaupt der Fall sein wird.

Blöd ist es natürlich, wenn man in dieser sowieso schon verletzlichen Position auf die Idee kommt, sich nochmal extra verletzlich zu machen und eine Textnachricht an einen Lieblingsmenschen zu verfassen, in der man demjenigen erstmals sagt: "Hey, ich mag dich. Also so richtig. Und ich kann mir eine gemeinsame Zukunft mit dir in welcher Form auch immer ernsthaft vorstellen. Das macht mir zwar irgendwie Angst, aber Du machst etwas mit mir, das mich auf all diese Ängste scheißen lässt". Was in der Kürze und Prägnanz vielleicht noch okay gewesen wäre. Ich schoss jedoch einmal mit Anlauf und vollem Karacho übers Ziel hinaus und es wurde ein ganzes Gedicht daraus, auf welches eine direkte Antwort ausblieb. Was bei mir zu Paranoia, Vorwürfen mir selbst gegenüber und Panik führte, einen mir wirklich wichtig gewordenen Menschen aus meinem gerade eh schon nicht so pralle laufenden Leben vertrieben zu haben.
Zum Glück blieben bei all dem Trubel noch mindestens drei Hirnzellen intakt und ich schaffte es ein persönliches, klärendes Gespräch herbei zu führen. Und das Gespräch lief wirklich gut. Ich war am Ende komplett erleichtert, alles würde beim Alten bleiben, es würden sich Wege finden, ganz ohne Druck - Lieblingsmensch gerettet. Ich konnte die Nacht bei ihm bleiben, begleitete ihn am nächsten Morgen wie gewohnt zum Bus und wir verabschiedeten uns genauso herzlich, wie ich es von uns gewohnt bin.
Damit wir beide mal wieder so richtig den Kopf frei bekommen könnten, schlug ich sogar noch einen Ausflug am nächsten Tag, einem Sonntag, vor, welchem er direkt zustimmte. Und ohne ins Detail gehen zu wollen - das war der schönste Ausflug meines Lebens. Es war herzlich, fröhlich, liebevoll, wir machten neue Pläne, waren inspiriert als Künstler, regelrecht euphorisiert. Ich kam mir zum ersten Mal im Leben vor wie eine Märchenprinzessin. Und es war cool. Ich hatte gar nicht das Bedürfnis, die Schildmaid zu mimen. In seiner Gegenwart sind keine Schutzmauern notwendig.
Und nun... habe ich seit einer Woche nichts mehr von ihm gehört. Weil ich erneut zu schwach war, meine Situation auszuhalten. Weil ich erneut einer eigentlich gar nicht so dramatischen Alltagssituation im zwischenmenschlichen Beisammensein nicht standhalten konnte. Und am letzten Donnerstag hatte ich nicht einfach nur schlechte Laune. Ich hatte einen kompletten Nervenzusammenbruch. Ich weinte, fluchte, war offen verzweifelt.

Der Befund, die Krankengymnastik, die Ungewissheit bis zum noch ausstehenden Termin beim Facharzt und dann noch eine auf völlig blöde Art und Weise geplatzte Verabredung waren zu viel für mich. Mein Fass war voll, lief über und die Flutwelle erwischte den Falschen...

Donnerstag, 12. September 2019

Odyssee des Schmerzes

Das MRT des Grauens
Wie die Angst erneut Besitz von mir ergriff...

Natürlich sei zunächst hervorgehoben, dass es wirklich wirklich toll ist, in nicht einmal 24 Stunden einen Termin zum MRT zu erhalten. Gerade in Akutfällen ist das wirklich Gold wert. Denn seien wir mal ehrlich: geht am menschlichen Körper etwas kaputt, dann ist schnelles Handeln für gewöhnlich nicht ganz unerheblich für einen reibungslosen Behandlungsverlauf und um eventuelle Folgeschäden nach Möglichkeit zu verhindern.

Nun war mir ja schon im Vorherein bewusst, dass ich mit der Röhre so meine Probleme bekommen könnte, deshalb war es für mich umso wertvoller, dass eine wirklich gute Freundin sich direkt anbot, mich zu diesem Termin zu begleiten. Wir verabredeten uns also zum Frühstück in unserem Stammcafé, um dann von dort zeitig zum Termin weiter ziehen zu können. Ob ich was gegessen habe, kann ich im nachhinein gar nicht mehr erinnern. Wahrscheinlich nicht. Mir war doch ziemlich übel.
Denn so toll es auch ist, so schnell die Möglichkeit zu erhalten, sich durchchecken zu lassen, so beunruhigend war dieser Umstand doch auch für mich. Warum? Ganz einfach aus dem Grund, dass diese Termine rar sind und für gewöhnlich nicht so schnell vergeben werden können. Die Kürze der Zeit zwischen Terminanfrage und dem eigentlichen Termin verdeutlichte für mich also schon im Vornherein lediglich die augenscheinliche Dringlichkeit meines Falles.

Als wir in der Radiologiepraxis ankamen, empfing uns wirklich freundliches Personal und wir wurden direkt ins richtige Wartezimmer geleitet, nachdem ich die erforderlichen Unterlagen, wie unter anderem den Anamnese-Bogen, ausgefüllt hatte. Es folgte eine relativ kurze Wartezeit, während derer ich schon einmal begann, meine zahlreichen Piercings zu entfernen. Ein Akt! Aber gut, das wusste ich vorher.
Schließlich wurde ich in die Umkleide gebeten, um mich für die Untersuchung zu entkleiden und der Radiologieassistent klärte mich darüber auf, wie ich in die Röhre gefahren werden würde, dass es einen Notfallknopf gäbe und wie lange die Untersuchung ungefähr dauern würde. Natürlich fragte ich direkt, ob es sich um ein offenes MRT handele. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Und sie starb direkt. Das MRT war nicht nur geschlossen, es war auch noch eine eher enge Röhre und ich würde mit dem Kopf voran hinein gefahren werden. Die Katastrophe war vorprogrammiert. Doch ich blieb erstaunlich optimistisch und gab mich kämpferisch. Wie schlimm könnte das schon werden?!

Ehm, ja... sehr schlimm!

Es dauerte keine 30 Sekunden, ich war noch nicht einmal zur Hälfte in dieser verflixten Röhre und ich schrie. Ja, ich habe geschrien. Und wie ich geschrien habe! Bis in den Wartebereich war ich zu hören und meine Freundin war sofort alarmiert. Im Gegensatz zum Radiologieassistenten, welcher mich zwar direkt aus der Röhre fuhr, jedoch auf meine Panikattacke eher unschön reagierte. Ich könne mich ja auch einfach wieder abregen und das passiere ja eh häufiger und ob ich mir nicht ein Sedativum vom Arzt verschreiben lassen und nochmal wieder kommen wolle. Klar, der gute Herr rappelt seinen Text sicher häufiger mal runter und manche Menschen sind eben nicht sehr Empathie begabt, aber in dem Moment, während ich schutzlos, halbnackt und hyperventilierend, mit extremen Schmerzen in der Lendenwirbelsäule und kaum zu Bewegung fähig vor ihm saß, hätte er für mich persönlich kaum beschissener reagieren können.
Ich ging also schluchzend und zitternd zurück in die Umkleide. Ein Glück klopfte es recht schnell von Außen an die Tür eben dieser. In meiner Überforderung konnte ich nämlich kaum noch einen klaren Gedanken fassen und wollte einfach nur noch weg von diesem Ort. Doch ich öffnete die Tür und fiel meiner Freundin erschöpft und hilflos in die Arme.

Sie und der für das MRT zuständige Radiologe redeten mir schließlich noch in der Umkleide gut zu und überredeten mich zu einem zweiten Versuch, nachdem meine Freundin und ich einen Kaffee trinken gegangen wären. Ich bin mir ziemlich sicher, die beiden wussten genauso gut wie ich: wäre ich ganz gegangen, dann wäre ich nicht mehr wieder gekommen. Was, ausgehend von meinem heutigen Wissensstand, wohl fatal gewesen wäre.

Nun ja, wir gingen also um's Eck einen Kaffee trinken und kamen anschließend für Versuch Nummer zwei wieder. Diesmal lief alles anders. Besser. Es war meine Freundin, die mich in die Röhre begleitete und neben mir stand, meine Hand hielt und bei jedem Untersuchungsabschnitt die Sekunden herunter zählte, wenn die Einheit geschafft war. Wie das möglich war? Es wurden gar nicht erst Anstalten gemacht, mich erneut mit dem Kopf voran in dieses Monstrum bekommen zu wollen. Ich wurde dieses Mal mit den Füßen voran hinein gefahren, so dass ich immer noch nach draußen blicken konnte. Es schloss sich also nicht erneut gefühlt ein Sarkophag um mich und die Untersuchung konnte tatsächlich erfolgreich abgeschlossen werden.

Zwar war ich immer noch ziemlich fertig danach, aber auch einfach erleichtert. Der Akt war geschafft! Und ich hatte die Aussicht, den Abend und die Nacht bei einem Lieblingsmenschen verbringen zu können. Das half, den Rest des Tages auch noch zu überstehen.

Ab diesem Moment begann jedoch das Warten und die Ungewissheit bekam erste Chancen, an mir zu nagen...

Ps.: dies war der letze Tag dieser Odyssee, an dem ich Schmerztabletten zu mir nahm - die haben nämlich gegen diese Art von Schmerz keinerlei Wirkung gezeigt.

Mittwoch, 11. September 2019

Odyssee des Schmerzes

Arztbesuch und angekündigter Projektwechsel
Warum ich dringend aufhören sollte, immer so verständnisvoll zu sein...

Ein Arztbesuch war für mich nun also unumgänglich, denn auch die Nacht war ein Albtraum gewesen. Ich hatte vor Schmerzen kaum in den Schlaf finden können. Unruhig wälzte ich mich in meinem Bett umher - stets unter Zuhilfenahme des Bettgestells, eigenständige Bewegungen waren nämlich undenkbar. In mir wuchs das Gefühl, es würde sich nicht bloß um einen einfachen Hexenschuss handeln. Doch ich wusste, ich neige zu Hypochondrie. Meine Hausärztin würde mir mehr sagen können.

Bei ebendieser rief ich nun also an, nachdem ich es irgendwie geschafft hatte aus dem Bett zu kommen, und vereinbarte einen Termin für ihre Vormittagssprechstunde. Um eine lange Wartezeit zu vermeiden, begebe ich mich immer erst recht gegen Ende der Sprechstunde tatsächlich zum Arzt. Mir war an diesem Vormittag schließlich ganz besonders bewusst, dass langes Sitzen meiner Bewegungsfähigkeit kaum förderlich sein würde. Als ich schließlich aufgerufen wurde, schälte ich mich also vom Stuhl im Wartezimmer, klappte mein Buch zusammen, welches ich beim Arzt stets dabei zu haben pflege, und watschelte der Arzthelferin mehr oder weniger unbeholfen in Richtung des Behandlungsraumes hinterher. Als schließlich meine Hausärztin den Raum betrat und fragte, wie sie mir helfen könne, erzählte ich ihr also, dass ich am Vortag wohl blöd aufgestanden und mir dabei irgendwie was in den Rücken gezogen sein müsse. Da sie mir kaum zuzuhören schien, holte ich noch etwas weiter aus und erzählte ihr zudem von meiner Sorge, es könnten auch die Bandscheiben sein. Schließlich hatte ich vor 10 Jahren schon einmal das zweifelhafte Vergnügen eines doppelten Bandscheibenvorfalls in der Lendenwirbelsäule mit anschließender endoskopischer Notfall-OP im September des Folgejahres. Die Jahre 2009 und 2010 sind mir diesbezüglich leider nur allzu gut in Erinnerung geblieben. Damals war ihr Vater noch mein behandelnder Arzt gewesen.
Nach dieser etwas ausführlicheren Schilderung schien sie mir jedenfalls wenigstens ein halbes Ohr geschenkt zu haben. Sie stellte mir ein Rezept für Globuli aus, sowie eine Überweisung zum MRT und eine Krankmeldung bis zum Ende der kommenden Woche. Schon wenige Zeit später würde sie mich wiedersehen...

Nach diesem doch eher ernüchternden und durchaus frustrierenden Besuch beim Arzt, beschloss ich auf dem Rückweg nach hause einen Zwischenstopp bei meinen Eltern einzulegen, um einen Kaffee zu trinken und mich um einen Termin für ein MRT zu bemühen. Außerdem wollte ich mich zugegeben bei jemandem über sowohl den Vortag als auch den für mich keineswegs zufrieden stellenden Arztbesuch auskotzen.
Zu meiner großen Freude kann man inzwischen unter Angabe der Daten vom Überweisungsschein schriftlich online eine Terminanfrage für ein MRT abgeben und so ersparte ich mir einen von mir so ungeliebten Anruf in der Praxis.
Für weniger Freude hingegen sorgte bei mir, dass meine Krankmeldungen nicht unterschrieben worden waren. Recht erzürnt machte ich mich also auf den Weg zurück zur Arztpraxis. Denn so verständnisvoll ich in meiner Natur auch sein mag, wenn ich Rückenschmerzen habe, hält sich meine Geduld doch in Grenzen. In der Praxis hatte ich meine Wut dann allerdings doch schlucken können, bekam meine Unterschriften und konnte mich mit den nun gültigen Krankmeldungen auf den Weg zu Krankenkasse und Arbeit begeben. Ich bringe diese Unterlagen nämlich immer gern persönlich an ihren Bestimmungsort. Sicher ist sicher.

Heute wünschte ich, ich hätte mir den persönlichen Gang zum Arbeitsplatz doch erspart. Warum? Weil sich so meinem Vorgesetzten die Gelegenheit bot, mir mitzuteilen, dass ich zum 2ten September in ein neues Projekt versetzt werden würde. Was ja alles kein Problem sei, und ja, ich verstand und verstehe die Gründe aus Arbeitgebersicht komplett, es wäre ja auch noch genug Zeit bis dahin und eventuell wäre ich ja rechtzeitig wieder fit, um mich dann auch noch im alten Projekt verabschieden zu können. Man werde mich dort jedenfalls sehr vermissen und er habe auch versucht, den Wechsel auf Grund meiner psychischen Labilität zu verhindern, es sei bloß einfach nicht möglich gewesen. BAMM! In my face, wie es so schön heißt.
Wie reagiert man in einem solchen Moment? Mit Wut, Trauer, Enttäuschung? Vielleicht. Ich dusselige Kuh reagierte, wie bereits erwähnt, mit vollstem Verständnis und stellte mich bereitwillig auf Arbeitgeberseite. Immerhin keine Kündigung, hm? Was ich dabei jedoch vollkommen außer Acht ließ, war ich: die Arbeitnehmerseite. Und das bereue ich bis heute. Aber dazu später mehr...

Ich verließ also die Arbeit recht bedröppelt wieder und begab mich endlich nach Hause. Inzwischen war es spät am Nachmittag und ich dachte mir, ich könne ja schon einmal meine Mails checken. Und tatsächlich, da war er: mein Termin fürs MRT, keine 24 Stunden später, am Freitag um 13:30 Uhr.

Dienstag, 10. September 2019

Odyssee des Schmerzes

Der 14te August 2019
Einer dieser Tage...

Jeder von uns kennt doch diese Tage, an deren Vortagen man schon mit einem mulmigen Gefühl ins Bett geht. Sei es vor Prüfungen, einem Bewerbungsgespräch oder einem wichtigen Termin. Nun, in meinem Fall war es der Vorabend der Einschulung meines Sohnes. Eine Einschulung, an welcher ich, als die Person, welche ihn zur Welt brachte, unerwünscht war und nicht teilnehmen würde. Ein Umstand, welcher mir Bauchschmerzen bereitete, auch wenn ich mich schon in den Wochen zuvor stets um Verständnis und Akzeptanz für die Situation bemüht hatte. Denn mein Sohn hatte im Kindergarten mehr als genug unschöne Momente durchleben müssen, weil er eben nicht von seinen Eltern, sondern seit inzwischen fast drei Jahren von seinen Großeltern großgezogen wird. Es ist also nachvollziehbar und vollkommen okay, dass er keine Fortsetzung dieser Torturen in seiner Schulzeit wünscht und seine Klassenkameraden würden sicher erneut mit schmerzenden Fragen um die Ecke kommen, wären sein Vater und ich dort erschienen. Und es ist ja nicht so als hätten wir als Erwachsene diesen beschissenen Lauf der Dinge nicht selbst zu verantworten. Unseren Sohn trifft keinerlei Schuld daran, dass er uns inzwischen lieber aus seinem Leben raus halten möchte. Das waren wir.

Nun, es fiel mir also am Morgen des 14ten August nicht gerade leicht, das Bett zu verlassen und das nicht nur, weil neben mir einer meiner Lieblingsmenschen lag und noch selig schlief. Auch wenn das sicher ein Faktor war. Wer bleibt nicht lieber an einem Ort, an welchem man sich wert geschätzt und geliebt fühlt, als das Haus zu verlassen, um den Tag zwar mit der Familie, jedoch faktisch gesehen mit Menschen zu verbringen, die auch gut auf einen verzichten könnten? Dennoch stand ich auf, sobald meine Mutter mir bescheid gab, dass der offizielle Part der Einschulung vorüber sei und ich mich auf den Weg zu meinen Eltern und meinem Sohn nach hause begeben könne, und machte mich fertig. Einen Kaffee trinken wollte ich mit meinem Lieblingsmenschen dann allerdings doch noch.

Falls ihr euch jetzt fragen solltet, wer dieser ominöse Lieblingsmensch ist: nein, wir sind nicht zusammen im klassischen Sinne, aber wir genießen die Anwesenheit des jeweils anderen, haben uns wahnsinnig viel zu sagen und empfinden eine gewisse Verbundenheit zu einander. Aber Lieblingsmenschen hat man mehrere. Zu meinen Lieblingsmenschen zähle ich auch meinen besten Freund und andere enge Freunde. Das ist kein Exklusivtitel.

Der Kaffee war jedenfalls nach wenigen Minuten geleert und ich bereit zum Aufbruch. So erhob ich mich also von der Couch. Und sackte direkt wieder in mich zusammen. Nicht weil mein Kreislauf eingebrochen wäre oder mich vor Aufregung doch noch Übelkeit überkommen hätte. Nein, mir war ein Schmerz in den Rücken geschossen, der mich fast lähmte. Meine gesamte Lendenwirbelsäule erschien plötzlich steif. Meine Beine wollten mich nicht mehr tragen. Doch ich blieb stark, riss mich zusammen, blieb bemüht, mir nicht allzu viel anmerken zu lassen und stand erneut auf.

Ich verließ das Haus und machte mich langsam und zitternd, mit enormen Schmerzen, auf den Weg zu meinen Eltern. Zum Glück kam ich auch halbwegs wohlbehalten an. Auch wenn ich mich bis heute frage, woher ich die Kraft nahm, mich nach guten zwei Kilometern Fußweg auch noch die Treppen in den zweiten Stock hoch zu schleppen. Dort angekommen ging jedenfalls erst einmal gar nichts mehr, außer mich auf dem relativ großflächigen Lehnstuhl meiner Mutter niederzulassen und dort sitzen zu bleiben. Ich muss meinem Sohn an diesem Tag noch überflüssiger erschienen sein, als eh schon von ihm erwartet. Und zu allem Überfluss entgingen wir so natürlich alle nicht einem Zusammentreffen zwischen mir und seinem Vater - ein Umstand, der mir, auf Grund unserer nicht nur unrühmlichen, sondern tief traumatischen Vergangenheit wohl niemals leicht fallen wird.

So saß ich dort also: hilflos, überflüssig und erfüllt von Schmerzen, unfähig zu gehen und der Situation zu entkommen.

Erst in den Abendstunden hatte ich erneut genügend Kraft gesammelt, um den Heimweg antreten zu können. Doch ich wusste, um einen Besuch bei meiner Hausärztin am nächsten Tag würde ich nicht herum kommen. Völlig unmöglich. Und so begann für mich, was ich inzwischen als meine Odyssee des Schmerzes bezeichne...

Montag, 9. September 2019

Black Dog Story

Warum Medikamente - zumindest für mich - keine Lösung sind

In den letzten drei Monaten ist einiges passiert. Das Positive zuerst: ich habe eine Therapeutin gefunden, mit der ich wirklich toll klar komme und gut reden kann. Ein Mal die Woche besuche ich sie und wir versuchen zu ergründen, was für mich den Nährboden meiner psychischen Probleme darstellt, was Symptome auslöst und was die Symptomatik aufrecht erhält. So ist die aktuelle Zielsetzung, dass ich mich selbst besser kennen und verstehen lerne, lerne mir selbst zu verzeihen und mich vor Auslösern zumindest selbst gemachten Leids zu schützen, sowie die Aufrechterhaltung natürlichen und auch selbst gemachten Leids zu bekämpfen.

Aber zurück zu eurem letzten Stand der Dinge bezüglich meiner psychischen Verfassung. Generalisierte Angststörung, diagnostiziert durch meinen Hausarzt, und die ebenfalls durch meinen Hausarzt angeordnete Medikation mit Promethazin. Ich schrieb hier diesbezüglich zuletzt an Tag 2 der Medikation Anfang Juni, was nun schon drei Monate zurück liegt und in meiner Empfindenswelt wirkt, als sei es fast schon wieder Jahre her. Wohlig sediert war ich während des Schreibens meines vorletzten Artikels und zumindest zu Ängstigung, vor was auch immer, gar nicht mehr in der Lage. Und ich dachte tatsächlich, wenigstens zeitweise, könne das Promethazin eine Lösung darstellen. Leider habe ich mich geirrt. Nicht etwa, weil das Medikament seine Wirkung verfehlt hätte. Beruhigt war ich, wie zuvor bereits erwähnt. Doch im Zusammenspiel mit meiner starken depressiven Störung, sowie latenten Suizidalität schoss die Wirkung schnell übers Ziel hinaus. Aus "mir egal, ob hier Menschen sind" wurde ziemlich schnell "wissen Sie, Suizid ist mir gerade halt auch einfach zu anstrengend". Was vielleicht zunächst auch gar nicht so verkehrt scheinen mag, jedoch impliziert, dass Suizid erneut akut eine Option war. Ich war bloß zu sediert, es auszuführen. Dabei war ich zu dem Zeitpunkt ursprünglich kaum suizidal.

Was also tun? Es gab zwei Optionen, die meine Therapeutin und ich für mich sahen. Zum einen das Fortsetzen der Medikation in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung, also die stationäre Einweisung. Eine Option, welche zumindest für mich, keineswegs in Frage kam. Krankenhäuser machten mir trotz der Sedierung durch das Promethazin noch die übliche scheiß Angst. Und so blieb eigentlich nur die zweite Option: das eigenständige und nicht ärztlich begleitete Absetzen des Medikaments.

Ich setzte also das Promethazin ab und beschloss einen anderen, konservativen Weg zu finden, mit meinen Ängsten und Depressionen klar zu kommen. Und so begann ich, ein Therapie-Tagebuch zu schreiben. Dort setzte ich mir aktiv schriftlich Tagesziele, die ich über Tag verteilt ab arbeiten konnte. Zudem notierte ich meine über den Tag hinweg empfundenen Gefühle in Fließtexten. Und am Ende des Tages zog ich Resumé. Richtig, ich setzte, notierte und zog. Ich führe das Therapie-Tagebuch nun schon seit 2 Monaten nicht mehr. Nicht, weil es nicht geholfen hätte. Das hat es. Das hat es sogar sehr. Mir kam eine Sehnscheidenentzündung in die Quere und als diese endlich abgeheilt war, hatte ich das Therapie-Tagebuch bereits wieder aus meiner Alltagswelt verdrängt.

Es ist immer wieder traurig, wie anstrengend psychische Erkrankungen es machen, Routinen in den Alltag zu bringen. Man hat sich jahrelang "kranke" Verhaltensmuster angeeignet und diese zu durchbrechen kostet unheimlich viel Zeit, Kraft und Energie. Leider geht die Rückkehr zu den so hart bekämpften Mustern wie im Fingerschnips. Zack! Da sind sie wieder. Alles beim Alten. Zumindest auf den ersten Blick. Doch der erste Blick vermag zu täuschen, meine Lieben. Lasst euch von ihm nicht blenden, solltet ihr ähnliches durchleben oder durchlebt haben. Ja, es geht oftmals 10 Schritte zurück. Doch zuvor ging es 11 Schritte vorwärts. Und selbst wenn am Ende nur ein einziger Fortschritt bleibt, so ist er doch erfolgt und nicht minder an Wert. Vergesst das bitte nie. Jeder eurer Schritte ist wichtig und wertvoll, egal wie klein er erscheinen mag.

Donnerstag, 13. Juni 2019

Black Dog Story

Hab immer was Gutes zu erzählen,
wenn Du Lust drauf hast...

Nein, habe ich nicht. Denn deine guten Geschichten sind wie Instagram und Facebook. Sie sind zwar ein Teil von Dir, doch sind sie sorgfältig herausgepickte Momentaufnahmen des Lebens, welches Du gerne führen würdest.
Das ist zunächst natürlich nichts schlimmes. Auch ich erzähle gerne meine guten Geschichten. Belanglosen Leuten. Denn die guten Geschichten sind für Jedermann. Da muss ich nicht selektieren. Niemand verurteilt einen für die guten Geschichten. Im Gegenteil. Sie bringen uns Bewunderung, Anerkennung, vielleicht sogar das eine oder andere Lob. Oberflächlich. Immer in dem Bewusstsein, dass das nicht so ganz wir sind.

Schwierig ist es hingegen, unsere schlechten Geschichten zu erzählen. Die richtig beschissenen. Die, in denen uns weh getan wurde. Die, in denen wir anderen weh getan haben. Die, in denen wir selbst nicht so gut da stehen. Die, für welche wir uns eventuell sogar ein wenig schämen. Die, die nicht in eine gute Weltanschauung passen. Und wir wissen genau, diese Welt, wie wir sie geschaffen haben, ist nicht im Grunde gut, auch wenn wir noch so sehr danach streben, sie und uns in einem rein guten Licht erscheinen zu lassen. Die schlechten Seiten, die beschissenen Geschichten sind ein wichtiger Teil des großen Ganzen und ohne sie wäre keiner von uns komplett.
Ich höre Leuten wirklich immer gern zu. Aber am liebsten, da höre ich die schlechten Geschichten. Denn es sind nicht unsere guten Geschichten, die uns geformt und zu dem gemacht haben, wer wir heute sind. Deine guten Geschichten werden mir niemals die Geschichte erzählen, wie Du zu Dir selbst geworden bist. Sie bilden eine Maske, von welcher Du möchtest, dass ich dieses Gesicht in Dir sehe. Eventuell glaubst Du, Du seist sonst nicht gut genug für mich. Wir alle glauben das doch, habe ich so langsam das Gefühl. Und ja vielleicht sind wir nicht für jedermann gut genug. Aber woher stammt diese irrwitzige Annahme, das sein zu müssen?
Deine Maske blendet. Dich und mich. Doch ich bin im Leben schon genug geblendet worden. Ich habe andere genug geblendet. An weiß gewaschenen Lebensläufen bin ich nicht mehr interessiert. Mich interessieren Menschen, Seelen, das echte Leben. Licht und Schatten.

Sag mir nicht, Du hättest immer etwas Gutes zu erzählen. Erzähl mir lieber davon, wie dir zum ersten Mal das Herz gebrochen und aus der Brust gerissen wurde. Erzähl mir von deiner Einsamkeit, deinen Albträumen, deinen schlimmsten Fehlern, deiner Reue. Erzähl mir von den Makeln und Macken in deiner Familie, den blöden Eigenschaften deiner Freunde, deinen schlimmsten Ticks. Erzähl mir deine düsteren Gedanken. Hast Du schon einmal über Selbstmord nachgedacht? Liebst Du dich selbst? Warum hasst Du dich so sehr? Warum sprechen deine Mum (oder jemand anderes) und Du nicht mehr?
Ich verspreche Dir, wenn ich danach immer noch bereit bin zuzuhören, dann möchte ich auch die guten Geschichten erzählt bekommen. Dann möchte ich dich kennen und lieben lernen. Denn jeder Mensch verdient es, geliebt zu werden, wenn er nur ganz er selbst zu sein wagt.

Mittwoch, 5. Juni 2019

Black Dog Story

Generalisierte Angststörung
Wenn die Angst übernimmt

Eine generalisierte Angststörung, was soll das denn nun schon wieder sein? Nun, zunächst einmal ist es ein Zustand, unter welchem heutzutage nicht wenige Menschen leiden. Gut 5% der Bevölkerung, so Statistiken, erkranken im Lauf ihres Lebens an einer generalisierten Angststörung, die Betroffenen sind meist Frauen. Es verselbständigt sich hierbei die eigene Angst und verliert sowohl Zweckmäßigkeit als auch Relation. Aus alltäglichen Sorgen, die jeder kennt: Sorge vor Krankheit, Jobverlust, Zurückweisung, Ablehnung, etc pp. werden so wahrhaftige Ängste, die von den unterschiedlichsten Symptomen begleitet werden, wie unter anderem Herzklopfen, Schweißausbrüchen, Magenbeschwerden, Schwindel, Hitze- oder Kältegefühlen, Muskelverspannungen und -schmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten, Reizbarkeit und Schlafstörungen, sowie dem für mich wohl schlimmsten Symptom, der Angst verrückt zu werden oder zu sterben - in meinem Fall meist ausgelöst durch oben genanntes Herzklopfen und begleitende Magenbeschwerden und Muskelschmerzen.

Was diesen Zustand der Angst auslöst, kann ich gar nicht so genau beschreiben. Sie ist manchmal plötzlich einfach da. Und das in letzter Zeit immer häufiger. Ohne jede Vorwarnung beginnt mein Herz zu rasen, meine Gedanken werden unklar, ich stehe plötzlich neben mir, schweißnasse Hände, Hitzewallungen gefolgt von dem Gefühl zu erfrieren, dann Schmerzen, alles verkrampft, die Zeit steht still um mich herum und dann kommt die Übelkeit, das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen und manchmal eben auch tatsächlich der Gang zur Toilette, um eben genau dies zu tun, mich übergeben. Und dann? Stille im Kopf. Nein. Gedanken rasen, doch ich kann sie nicht greifen. Es kommt einer sehr sehr unruhigen Stille gleich. Eine Stille, die brüllt. Und durch das Brüllen nur ein Gedanke: "das war's mit mir".

In der letzten Woche folgte eine dieser Panikattacken auf die nächste. Ich war ständig unkontrolliert am Zittern, wollte nicht mehr unter Menschen und wagte ich es doch, bekam ich selbst unter Freunden die nächsten Panikattacken. Selbst auf einer Party von und mit Freunden hätte ich vor lauter Nervosität - bloß weil ein Bekannter sich unterhalten wollte - fast aus dem Küchenfenster gegöbelt. Komplett nüchtern. Nicht einen Tropfen Alkohol im Blut. Ich bin nun nämlich bald schon ein halbes Jahr trocken. Die Panik davor, das irgendwie erklären zu müssen, hat mich das Erbrochene schlucken lassen. Danach entschied ich mich für den restlichen Abend gegen eine weitere Nahrungsaufnahme. Dabei hatte ich zu meiner Beruhigung schon extra meinen besten Freund mitgenommen zu der Party - naja, ursprünglich hatte ich ihn einige Wochen zuvor gebeten, mich zu begleiten, weil ich einfach gerne Zeit mit ihm verbringe und mehr mit ihm unternehmen möchte. Zu dem Zeitpunkt hatte ich meine Ängste auch noch unter Kontrolle bzw meine gewohnten Verdrängungsstrategien haben noch funktioniert. Nun musste ich feststellen, dass es an jenem Abend schon zu einer Panikattacke führte, wenn er sich nur fünf Meter von mir entfernte.

Ihr merkt also eventuell, mein Zustand ist in der letzten Zeit kein besserer geworden. Und ich denke, dort spielen mehrere Faktoren mit hinein. Die erneute, unbegründet gebliebene Zurückweisung durch einen Menschen, den ich lieb gewonnen hatte über die letzten zwei Monate hinweg, Zurückweisung durch meine Familie und insbesondere meinen Sohn, die daraus entstehende Angst, bald vielleicht auch beruflich und im Freundeskreis den Leuten nicht mehr zu genügen und dieses völlig irrationale Gefühl, vermutlich niemals einen echten Partner im Leben zu finden und all diese Liebe in mir drin weiter hoffnungslos in der Welt zu verteilen, so gut ich es eben kann. Von den üblichen Gedanken, rein oberflächlich betrachtet, schon nicht genug zu sein, sondern zu dick, zu verpickelt, zu untersetzt, zu hässlich, zu stillos, zu was-auch-immer, mal ganz zu schweigen.

Gestern kam nun jedenfalls, unabhängig von der Suche nach einem Therapeuten, der Tag, an dem ich mal wieder meinen Hausarzt aufgesucht habe. Ich hatte mich auf der Arbeit krank gemeldet, wohl wissend, dass ich es dort keinen weiteren Tag aushalten würde - offiziell wegen meiner PMS, inoffiziell genau wegen der oben beschriebenen Umstände. Und so führte mich der gestrige Tag von der Anweisung, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu beschaffen über meinen Hausarzt und ein offenes Gespräch über meinen momentanen Gemütszustand, zu der Verschreibung von Promethazin-Tropfen. Promethazin ist ein Neuroleptikum, welches hauptsächlich wegen seiner beruhigenden und anti-allergenen Wirkung, jedoch nur noch selten als Antipsychotikum eingesetzt wird. Aber wie heißt es so schön, Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel. Bei Angststörungen findet Promethazin nämlich weiterhin Anwendung. Und ich denke, jetzt an Tag 2, ich verstehe auch weshalb. Promethazin sediert. Es sediert mich so effektiv, dass ich meine Symptome zwar weiter wahrnehme, sie mir gerade aber völlig schnuppe sind. Ich bin viel zu sehr damit beschäftigt - ja, womit eigentlich?

Glücklicherweise muss ich nun erst in zwei Wochen wieder arbeiten und am normalen Alltag teilnehmen. Bis dahin hat mein Körper sich hoffentlich an das Promethazin gewöhnt und ich mich ganz allgemein wieder beruhigt und entspannt. Entspannungsmaßnahme Nummer 1 lautet gerade jedenfalls, den Laptop mit auf den Balkon nehmen, Musik hören, diesen Blog schreiben und mir einfach die Sonne auf den Pelz scheinen lassen.

Montag, 3. Juni 2019

Black Dog Story

Die vielleicht eher unerwarteten Herausforderungen

Bei der Suche nach einem Therapieplatz kann es für Betroffene Schwierigkeiten und Herausforderungen geben, die sind vielen Leuten, glaube ich, gar nicht so bewusst. Ich selbst hatte die Thematik in meinem letzten Post mit dem kurzen Abschnitt "Bei einem Therapeuten anrufen? Ein Ding der Unmöglichkeit!" bereits angeschnitten. Jetzt möchte ich näher darauf eingehen, warum das aus mehreren Gründen eine nicht zu vernachlässigende Hürde ist.

Zum einen ist es so, habe ich feststellen müssen, dass viele Therapeuten die unmöglichsten Uhrzeiten und vor allem auch Zeitfenster haben, zu denen sie telefonisch erreichbar sind. Um ein kleines Beispiel zu geben: "Für die Vereinbarung eines Erstgesprächstermins erreichen Sie die Praxis Mittwoch/Freitag 8.20-8.50 Uhr sowie Donnerstag 9-9.50 Uhr." Das sind zum einen keine sehr großen Zeitfenster, zum anderen erhöht eine solch begrenzte Zeitangabe aber auch immens den Druck auf den Hilfesuchenden, gerade wenn derjenige, so wie ich auch, unter anderem an Angststörungen leidet. Schnell kommen im eigenen Kopf Gedanken auf wie: "Kann ich das überhaupt schaffen in diesem Zeitfenster?", "Was wenn ich das Zeitfenster verpasse? Ich müsste es am nächsten Tag nochmal versuchen. Haha, nein. Ganz bestimmt nicht! Als ob ich da zwei Mal anrufe. Ein Mal da anzurufen ist doch fast schon unmöglich.", "Da rufen in der Zeit bestimmt extrem viele Leute an, wenn der Therapeut sonst nicht erreichbar ist. Da komme ich doch sicher gar nicht erst durch", etc. pp.
Solche Gedanken mögen vollkommen irrational und unbegründet wirken und die häufigste Antwort Angehöriger ist wohl: "Versuch es doch einfach!", aber das ist nun einmal der springende Punkt: zum Telefonhörer zu greifen und jemanden anzurufen ist nicht immer und für jeden Menschen einfach.

Was direkt zum nächsten Problem führt. Die Telefonie an sich ist nämlich nicht selten schon eine Herausforderung. Viele Menschen haben in ihrem Leben schlechte Erfahrungen mit Telefonie gemacht. Seien es unfreundliche Mitarbeiter, unangenehme Gespräche oder unangenehme Nachrichten, welche telefonisch übermittelt wurden, oder aber schlimmsten Falls Stalking und Telefonterror. Egal was der Auslöser für die Furcht vorm Telefonhörer war, egal wie irrational die Angst des Einzelnen auf seine Angehörigen wirken mag: sie ist valide. Es ist völlig egal, ob Person XY schon "viel schlimmeres" am Telefon erlebt hat und trotzdem noch gerne telefoniert. Jeder Mensch ist Gefangener seiner eigenen Empfindenswelt und niemand hat für einen zu entscheiden, ob die eigene Angst schlimm ist oder nicht oder irrational oder sonstwas. Fun Fact am Rande: Angst definiert sich sogar darüber, irrational zu sein und aus dem Inneren heraus zu kommen. Ihr rationaler Gegenpart, welcher auf realen äußeren Einflüssen beruht ist die Furcht. Philosophieunterricht, siebte Klasse. Danke, Herr Meier, an dieser Stelle.
In meinem Fall war es tatsächlich die telefonische Belästigung durch eine Klassenkameradin in jungen Jahren. Und auch wenn ich mir sicher bin, dass sie einfach nur ein sehr einsames Kind war, das geglaubt hat in mir eine gute Zuhörerin und Freundin gefunden zu haben, in mir haben ihre ständigen Anrufe und ewigen Erzählungen eine bis heute anhaltende Abneigung vor Telefonanrufen ausgelöst. Vielleicht auch ein Grund, warum ich nicht einmal im Job groß Smalltalk führe. Außer ich habe das seltene Glück mit AutorInnen oder FotografInnen oder anderen interessanten Persönlichkeiten sprechen zu können. Das passiert mir allerdings nur so drei bis fünf Mal im Jahr bei um die 100-200 Telefonaten die Woche, nur um das mal eben ins Verhältnis zu setzen.

Was ist aber die Lösung, wenn zu telefonieren nicht infrage kommt? Glücklicherweise geben inzwischen einige Therapeuten Email Adressen an. So habe auch ich es schlussendlich geschafft, ein Erstgespräch zu vereinbaren. Der Schriftweg ist nämlich viel entschleunigter und bewusster. Man kann das Geschriebene mehrfach gegen lesen und korrigieren und sich vergewissern, am Ende dem Gegenüber wirklich das zu vermitteln, was man auch vermitteln wollte. Bei Telefonaten habe ich keine Korrekturmöglichkeiten des Gesagten, weshalb es mir gerade bei einer solchen Thematik immer wieder passiert, dass ich zu stottern und zu stammeln beginne und schlussendlich wirreres Zeug rede, als es meine Absicht gewesen ist. Oder aber, was vielleicht noch viel schlimmer ist, außer "ja" und "okay" kommt mal so gar nichts aus mir heraus.
Ich habe Anfang des Jahres ein einziges telefonisches Gespräch mit einem Therapeuten geführt und es lief scheiße. Entschuldigung für die Ausdrucksweise. Aber so war es. Der gute Herr hat ungefähr 3 Minuten gebraucht, um mich als Patientin abzulehnen, und das ohne mich je wirklich kennengelernt zu haben. Eine Erfahrung, deren Wiederholung ich um jeden Preis verhindern wollte.

Schlussendlich habe ich mich nun also vor einer Woche mit einer Freundin an eben diesen Laptop gesetzt und in die Tasten gehauen. Ich glaube wir haben an jenem Tag gut 12 Therapeuten im näheren Umkreis von fünf Kilometern geschrieben. Und so dankbar ich auch für die Kommunikationsmöglichkeit des Emailverkehrs bin, habe ich an viele Therapeuten aus der jetzt gemachten Erfahrung heraus einen ganz großen Kritikpunkt: bitte bieten Sie keinen Schriftverkehr an, wenn Sie nicht beabsichtigen, diesen auch zu beantworten. Eine automatisierte Antwort, dass aktuell keine Therapieplätze zur Verfügung stehen, ist vollkommen genügend, sollte das der Fall sein. Doch was absolut nicht okay ist, ist gar nicht zu antworten oder aber automatisiert die telefonischen Sprechzeiten zurück zu senden. Es hat einen guten Grund, warum der potenzielle Patient sich schriftlich und eben nicht telefonisch an Sie gewandt hat. Und dass ich als Nicht-Psychologin das einigen studierten PsychologInnen an dieser Stelle scheinbar erklären muss, wo doch die Kenntnis der menschlichen Angst als ein sehr realer Umstand mit oft unumgänglichen Auswirkungen auf die Verhaltensweisen des Betroffenen ein Grundverständnis des eigenen Berufsbildes sein sollte. Oder irre ich mich da etwa?

Abschließend möchte ich allen Hilfesuchenden im deutschsprachigen Raum noch eine Website ans Herz legen, ohne welche ich wahrscheinlich auch in 10 Jahren noch keine therapeutische Hilfe gefunden hätte: http://psych-info.de. Es handelt sich hierbei um keinerlei Kooperation mit zuvor genannter Website, sondern um kostenlose Werbung aus der individuellen Überzeugung heraus, dass hier eine Plattform geboten wird, die Betroffenen tatsächlich helfen kann. So kann die eigene Postleitzahl als Anhaltspunkt für die Suche verwendet werden und in der erweiterten Suche kann genau eingegrenzt werden, nach welcher Art von Therapie man eigentlich sucht. Ob der Betroffene Kind, Jugendlicher, oder Erwachsener ist, ob die Therapie Kassenleistung oder privat finanziert sein soll, ob es eine tiefenpsychologische Psychotherapie sein soll, eine Verhaltenstherapie oder ähnliches. Die Website bietet zudem ausführliche Informationen zu den angeführten Psychologen und Therapeuten auf einen Blick, so dass sowohl die Qualifikationen, als auch Behandlungsmethoden und Kontaktmöglichkeiten direkt ersichtlich sind. Wenn Du oder ein Mensch in deinem Umfeld Hilfe sucht, dann nehmt einander bei der Hand, so wie meine Freundin und ich es getan haben, und werft einen Blick auf diese Website. Es mag albern klingen, aber ich bin der festen Überzeugung, dass das im Ernstfall durchaus Leben retten kann.

Sonntag, 2. Juni 2019

Black Dog Story

Ich suche mir die Hilfe, die ich benötige
Es geht endlich in Therapie

Hoffentlich. Sicher ist mir der Therapieplatz noch nicht. Aber ich habe mich endlich auf die Suche begeben, dank der Hilfe und guten Zurede einer lieben Freundin. Denn gemeinsam geht es sich leichter durchs Leben und Dinge, die eventuell über Jahre beängstigend waren, werden erträglicher. Nicht einfach, ganz sicher nicht. Ich will nicht so tun als fiele mir die Therapieplatzsuche nun plötzlich leicht. Ganz sicher nicht. Bei Therapeuten anrufen? Ein Ding der Unmöglichkeit! Ich telefoniere nicht. Ja, ich weiß, ich arbeite in einem Callcenter und zu telefonieren ist mein Job. Aber das ist, so verrückt das klingen mag, etwas völlig anderes. Es gibt das private Ich und das berufliche Ich und die beiden sind in meinem Fall zwei sehr unterschiedliche Menschen. Eine Lücke, die ich zu schließen gedenke mit Hilfe der hoffentlich bald erfolgenden Therapie. Denn es ist sehr anstrengend zwei so komplett unterschiedliche Menschen in einem zu vereinen. Natürlich ist es ganz normal, dass wir in unserem Privatleben nicht ganz der Mensch sind, der wir in unserem Job sind. Doch sind diese zwei Personen zu gegensätzlich veranlagt, dann zehrt das immens an den eigenen Energiereserven. Wir verausgaben uns dann bei etwas, für das es zwar in Ordnung ist, Energie aufzuwenden, jedoch nicht so viel davon, dass genau das einer der Hauptgründe ist, warum wir abends völlig erschöpft ins Bett fallen. Denn es kann zwar wundervoll sein, sich abends erschöpft hinzulegen und direkt einem erholsamen Schlaf hinzugeben - aber eben nur wenn es eine befriedigte Art der Erschöpfung ist, die uns zufrieden zurücklässt. Doch das ist diese Art der Erschöpfung eben nicht. Es ist viel mehr die Kategorie Erschöpfung, die uns aussaugt und als leere Hülle zurücklässt, welche Schwierigkeiten verspürt, zur Ruhe zu kommen und uns abends, so ausgelaugt wir auch sein mögen, oftmals noch stundenlang wach im Bett liegen und grübeln lässt, warum uns nicht gelingen mag, was anderen so leicht von der Hand zu gehen scheint: ein geregeltes und erfülltes Leben zu leben.
Mir ist natürlich klar, dass kein Leben perfekt ist. Jeder muss ab und zu eine Fassade der Scheinheiligkeit errichten, wenn es darum geht, das eigene Leben vollkommen wirken zu lassen. Und ich denke oft, dass es unserer Gesellschaft gut täte, wir würden offener über unsere schlechten Tage und Momente kommunizieren. Einfach mal nicht auf jedes "Wie geht es Dir?" mit dem standardisierten "Gut und selbst?" antworten, sondern ganz offen und ehrlich sagen: "Weisst Du, momentan fühle ich mich ziemlich überfordert mit meinem Leben. Irgendwie ist der Wurm drin und manches bereitet mir Sorgen." Ich denke, damit wäre vielen geholfen und die Distanz, welche sich in der heutigen Zeit fast wie selbstverständlich in unser zwischenmenschliches Leben geschlichen hat, würde wie natürlich abgebaut. Man käme sich wieder näher und Schwächen würden zu Stärken.
Nicht selten träume ich von einer solchen Welt. Einer Welt, in der es okay ist, dass ich depressiv bin. Einer Welt, die mich auch an meinen schlechtesten Tagen nicht verurteilt. Eine Welt in der ich, allen Dingen voran, keine Angst davor haben muss verurteilt oder, was manchmal noch viel schlimmer ist, verspottet zu werden. Erst kürzlich wieder meinte ein Arbeitskollege, ich solle mich doch mal lieber aus dem Bett und unter Leute bewegen, statt wieder ständig so eine "Deprischeiße" zu reden. Danke für den Hinweis, Sherlock. Es ist nicht so, dass ich das nicht gerne tun würde. Himmel, was gäbe ich dafür, jeden Tag problemlos mein Bett verlassen zu können, nur positiven Gedankenmustern zu folgen und die Welt und ihre Schönheit mit vollen Atemzügen zu genießen und das Leben lachend zu begrüßen und zu umarmen und zu lieben. Ich würde an manchen Tagen wortwörtlich mein Leben geben, um ein solcher Mensch sein zu können. Und genau deshalb wage ich nun endlich, allen Ängsten vor Identitätsverlust und Ablehnung zum Trotz den Schritt hin zur ambulanten Therapie. Etwas, wovor ich mich sehr sehr lange gedrückt habe, weil ich mir jahrelang eingeredet habe, doch auch ohne ganz gut klar zu kommen und immer der Meinung war, es seien bloß die anderen, die das für mich wollen. Wie zB meine Mutter, die egal mit was ich hilfesuchend zu ihr kam in den letzten Jahren immer nur eine Antwort für mich hatte: "Such dir einen Psychologen, ich kann Dir nicht helfen", eine Antwort, die mich immer wieder verletzt hat und dafür gesorgt hat, dass ich mich meiner eigenen Mutter heute nicht mehr anvertraue und sie meide, als einen Menschen, der mich aufgegeben zu haben scheint und seit Jahren bloß noch von sich weist und in die Obhut anderer geben will. Mich selbst davon zu überzeugen, dass ich die hoffentlich bald anstehende Therapie nicht für meine Mutter oder einen anderen Menschen, sondern einzig und allein für mich und eine nachhaltige Verbesserung meines eigenen Lebens machen werde, das hat mich lange Zeit gekostet und war vielleicht einer der schwierigsten Gedankenprozesse meines bisherigen Lebens.
Ironischerweise ist derselbe Arbeitskollege, welcher mir letztens noch meine "Deprischeiße" vorhielt, nun derjenige, welcher meinen Entschluss in eine ambulante Therapie zu gehen am schärfsten kritisiert und am meisten belächelt. Ganz ehrlich, er ist nicht einfach nur ein Arbeitskollege gewesen. Wir waren Ende letzten Jahres eine Weile so etwas wie ein Paar. Naja, ich war seine Liebschaft neben seiner eigentlichen Beziehung, welche angeblich offen und polyamourös gelebt wurde. Ich glaube inzwischen, seine Freundin sah das immer ein wenig anders und er ist einfach ein ziemliches Arschloch. Okay, vielleicht kein Arschloch, aber ein elendiger Egozentriker, dem andere Menschen doch ziemlich egal sind und der alles nieder machen muss, fast schon zwanghaft, was nicht in sein eigenes Weltbild passt. Er hat mich gelehrt, dass ich es nicht zu ertragen brauche, von einem Menschen, dem ich vertraue, ständig hängen gelassen zu werden. Weshalb ich ihn eigenhändig wieder zu meinem Arbeitskollegen und nichts anderem erklärt habe. Ein Schritt, der super viel Mut erfordert hat, aber mir schlussendlich wieder Luft zum Atmen gegeben hat. Und wenn ich nun merke, wie wenig er mich noch immer unterstützt, obwohl er versucht, wieder einen anderen Anteil in meinem Leben zu erlangen als nur den des Arbeitskollegen, dann bin ich froh, dass ich mich aus meiner emotionalen Abhängigkeit ihm gegenüber habe lösen können und in der Lage bin, anstatt mich ihm einfach wieder hinzugeben, zu sagen: nein danke, Du tust mir auf einer sehr emotionalen Ebene nicht gut!
Er war tatsächlich letztens zu Besuch und hat mich geküsst und ich habe nichts mehr dabei gefühlt. Stattdessen war ich am Handy, habe mit meinem besten Freund kommuniziert und war mehr an dessen WG-Leben interessiert als an dem Menschen, der dort direkt neben mir in meinem Bett lag und erneut die Nähe zu mir gesucht hat. Daher muss ich fairerweise sagen: auch ich wäre inzwischen nicht mehr gut für ihn, da ich ihn nicht mehr so wertschätzen kann, wie ich es vor unserem Zerwürfnis wie selbstverständlich gekonnt habe.
Warum dieser kleine Exkurs in mein Privatleben? Ganz einfach: es ist eine wichtige Lektion in allen Lebensbereichen zu erkennen, dass wir von Dingen und aber auch insbesondere Menschen, die uns nicht gut tun und uns nicht zu fördern vermögen, Abstand nehmen können, dürfen und manchmal auch müssen - egal in welchem Verhältnis wir zu diesen Leuten stehen. Ganz ohne diesen Menschen schlechtes zu wollen. Im Gegenteil, ich bin inzwischen zu der Überzeugung gekommen, man tut beiden Seiten einen Gefallen damit - manch einer mag nur länger brauchen, ebenfalls zu dieser Erkenntnis zu kommen. Denn so schmerzhaft es auch sein mag, einen Lebensabschnittsbegleiter zu verlieren, hinter allem steckt irgendein Sinn und was am aller aller wichtigsten ist und ich bin so unendlich dankbar, das trotz meiner Depressionen und dank meiner wirklich lieben Freunde und Bekannten erkennen zu können: Das Leben geht immer weiter!

Für mich dann bald hoffentlich mit ein wenig professioneller Unterstützung.