Dienstag, 22. März 2016

Black Dog Story

Grübeln.
Aber bitte bis zum jüngsten Tag!

Ich habe keine Ahnung, welches Maß an Grübelei "normal" ist. Wirklich nicht. Aber ich bekomme häufig die Rückmeldung, dass ich viel zu viel grübeln würde. Ja, ich neige dazu, Dinge und Situationen auch nach Jahren noch immer und immer wieder in meinem Kopf durchzuspielen und erneut alle Wenns und Abers durchzugehen. Dabei ist es völlig egal, ob involvierte Personen zum Beispiel überhaupt noch eine Rolle in meinem Leben spielen oder nicht. Ich grüble unerbittlich über das Geschehene nach. Ich male mir Situationen aus, wie es anders hätte enden können. Ich erdenke und erträume mir Wege, auf denen ich glücklicher aus manch einer Sache hinaus gegangen wäre. Ich denke und denke und denke. Und manchmal denke ich so viel, dass ich gar nicht mehr denken kann. Dann ist mein Kopf so voll von Dingen, dass er nichts anderes mehr hinein lassen mag. Dann ist er voll und leer zugleich. Dann fühle ich mich irgendwie benebelt. Stehe neben mir. Wahrscheinlich ist meine Grübelei einer der Hauptgründe, warum ich mit der Black Dog Story überhaupt erst angefangen habe. Denn diese Rubrik hier im Blog zeigt doch recht deutlich auf, all jene Etappen in meinem Leben beschäftigen mich bis heute noch so sehr, dass ich unbedingt darüber schreiben musste. Ist das "normal"? Geht es nicht nur mir so?
Sicherlich wird der eine oder andere jetzt denken ich verstehe Dich, ich bin genau so, aber wie viele Menschen werden auch einfach nur den Kopf schütteln und sich denken komm drüber hinweg?! Es dürften viele sein. Und ja, ich wünschte ich käme so einfach über manches hinweg. Über vieles bin ich ja auch hinweg. Was weiß ich... meine schlechten Schulnoten der letzten Jahre beschäftigen mich nicht mehr die Bohne. So als ganz profanes Beispiel.

Nein, es sind die Wendepunkte in meinem Leben über die ich noch heute nachgrüble. Was wäre zum Beispiel, wenn meine Mutter nie krank geworden wäre oder mein Vater keinen Schlaganfall gehabt hätte oder ich noch nicht schwanger gewesen und selbst Mutter wäre? Was wäre dann? Wäre ich eine glücklichere Jugendliche gewesen? Wäre ich jetzt in diesem Augenblick ein glücklicherer Mensch, weniger angebunden, freier, weniger einsam? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vielleicht führen ja doch alle Wege nach Rom und was auch immer uns im Leben widerfährt ist tatsächlich einfach unausweichlich, ist Schicksal. Der große Masterplan vom Big Boss - nenn ihn Gott oder wie auch immer es Dir lieb ist.

An manchen Tagen ist mir die Vorstellung vom großen Masterplan eine tröstende. Denn sie besagt ja auch, dass alle meine guten Momente genauso nur für mich vorbestimmt waren, wie eben auch die schlechten es waren. Aber manchmal könnte ich beim Gedanken ans Schicksal auch das Kotzen bekommen. Dann würde ich gern zum Team Freier Wille gehören und dem Schicksal meinen Mittelfinger zeigen. An jenen Tagen möchte ich glauben, dass Dinge passieren, weil ich es so wollte und nicht, weil es so kommen musste. Und doch ertappe ich mich immer wieder, wie ich genau jenen Satz leise vor mich hin murmel: es musste ja so kommen. Als wäre alles in irgendeiner Art und Weise unausweichlich, um von einem Schritt zum nächsten, um von einem Tag zum anderen zu kommen.

Selbst jetzt, während ich all diese Worte schreibe, grüble ich nebenbei noch über so viele andere Dinge nach. Und die Grübelei nimmt mir mal wieder die Luft zum atmen.

Ich frage mich, macht mein Gehirn auch mal Pause?!

oOoOoOo

Mein Angehörigen-Tipp

Jeder Mensch braucht Zeiten, in denen er nicht zum Grübeln kommt sondern einen freien Kopf hat und einfach mal Luft holt und genießt. Leider schafft nicht jeder Mensch es immer aus eigenem Antrieb, sich in jenen Zustand der Leichtigkeit zu versetzen. Manchmal braucht es dafür Hilfe von außen, von guten Freunden oder der Familie.

Schnappt Euch euren Grübler und fahrt hinaus in die Natur, zB an einen See oder in den Wald. Oder vielleicht mag euer Grübler gern Eis essen oder Schaufenster bummeln, dann schnappt euch ihn/sie und ab dafür! Ignoriert das anfängliche Murren und Knurren und schafft euren Grübler vor die Tür und in die Sonne. Die frische Luft tut jedem gut! Und zu zweit oder dritt oder viert oder mit sonst wie vielen Leuten tut sie gleich noch viel besser.
Euch mag das wie eine unwichtige Kleinigkeit erscheinen, weil Ihr Euch vielleicht häufiger mal etwas gönnt, aber eurem Grübler könnt ihr damit vielleicht den Tag oder sogar die ganze Woche retten und Ihr werdet die Dankbarkeit merken, wenn Ihr eure Fühler drauf einstellt. Versprochen!

Mittwoch, 3. Februar 2016

Black Dog Story

Am Abgrund stehen

Mir fällt in letzter Zeit eine ganz bestimmte Sache immer häufiger auf: wenn ich emotional am Abgrund stehe, dann tue ich das auch in der Realität häufig wenigstens symbolisch.

Ich lege mich zum Beispiel ganz an die Kante meines Bettes, hänge schon halb darüber und nur eine einzige falsche Bewegung würde mich zum Fallen bringen.
Oder wenn ich zum Rauchen auf meinen Balkon gehe, dann gehe ich nicht auf den Balkon. Ich stelle mich in die Tür, genau auf den schmalen Balken vom Türrahmen und schwinge leicht hin und her. Ich stehe nicht fest und drohe immer zu kippen - entweder in die Sicherheit meines Wohnzimmers oder in die Gefahr hinaus auf den Balkon, wo der Abgrund ich wohne im zweiten Obergeschoss doch schon so viel greifbarer wird.

Ich frage mich tatsächlich, ist dies bereits ein Teil meiner Suizidgefährdung, wie es im Fachjargon ja so schön heißt? Oder ist es eine Methode, ähnlich wie das eigenständige Verletzten meines Körpers es früher war, mein Leben zu spüren? Vielleicht aber ist es auch die Mischung aus beidem?

Es ist die mir so gewohnte Todessehnsucht und das gleichzeitig brennende Bedürfnis, meine Lebendigkeit irgendwie spürbar zu erleben.

Ich kann das schwer erklären. Denn eigentlich gibt es keinen Grund, am Abgrund zu stehen. Und dann gibt es wiederum doch so unendlich viele Gründe, weshalb ich mich emotional an einem Abgrund befinde und weshalb der Sog momentan wieder so unerträglich stark wird.

Ich schwänze übrigens gerade die Schule. Und dass, obwohl die Schule sich im letzten halben Jahr zu meinem neuen Zufluchtsort entwickelt hatte. Ich mochte es dort, ich mag es irgendwie auch immer noch. Aber gerade befinde ich mich wieder auf dem Rückzug. Ich will meine Wohnung nicht verlassen. Mein Kind ist im Kindergarten. Er bekommt hiervon nichts mit. Seine Welt soll nicht werden, wie meine Welt es schon so viele Jahre ist - so trostlos, so abgeschottet, so chaotisch, so verzweifelt, so surreal.

Ich habe jetzt ein halbes Jahr lang wieder gelebt und geleistet, habe mein Kind durch viele Monate von Krankheit und Schmerz begleitet, habe das erste Schulhalbjahr mit einem Notenschnitt von 2,36 absolviert, habe mir an allen Ecken und Enden den Arsch aufgerissen... und ZACK, mit einem Mal hat das Alles wieder keinerlei Bedeutung mehr für mich. Mein Sohn ist wieder gesund - endlich! Doch anstatt mich zu freuen, hinterlässt es eine Leere in mir. Die Hälfte des Schuljahres ist geschafft und das sogar gut! Ich kann mich problemlos für das Abitur bewerben! Schade nur, dass die Anerkennung meiner vier Jahre Lateinunterricht eine Fehlinformation war und ich ohne den Nachweis über das kleine Latinum nicht an die allgemeine Hochschulreife komme. Theoretisch bloß ein weiterer Stein auf meinem Weg zum Erfolg. Mich wirft das emotional und in meiner Motivation zu leben jedoch um Jahre zurück.

Denn was nur ich ganz deutlich spüren kann ist, dass da immer noch ein riesiger schwarzer Hund hinter mir steht und er knurrt, er knurrt so unfassbar bedrohlich. Ich kann ihn hören. Ich höre ihn wüten. Ich höre ihn seine Zähne fletschen. Und ich spüre seine Bisse. Und ich spüre, wie seine Blicke meine Seele durchbohren. Er ist da. Die Depression. Die Krankheit. Das geht nicht einfach weg.

Wenn ich die letzten Jahre eine Erkenntnis erlangt habe, dann die, dass der Hund mich nie verlässt. Er schläft nur manchmal, wie jedes andere Tier auch. Er ruht sich aus. Und manchmal spielt er auch nur etwas mit mir, dann wirke ich oft neben der Spur. Es sind die Phasen, an welche ich mich später immer kaum bis gar nicht erinnern kann. Und dann, dann ist er wütend und aggressiv, so wie jetzt. Das sind die für mich gefährlichsten Phasen. Denn sie treiben mich an den Abgrund. Und irgendwann wird dieser Abgrund so wunderbar reizvoll werden, dass nichts mich mehr zurück hält...

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Mein Angehörigen-Tipp

Dränge Dich einem Betroffenen in diesem Zustand nicht auf!
Menschen sind Tiere. Ängstliche Tiere, die sich in eine Ecke gedrängt fühlen, beißen. Sie verletzen, um sich selbst zu schützen. Ein in die Ecke gedrängtes Tier weiter zu bedrängen birgt also große Gefahren für alle Beteiligten.
Verhaltet Euch ruhig. Gebt dem Betroffenen Zeit. Er muss seine Wohlfühlzone selbst bestimmen können. Und wenn er merkt, dass das möglich ist, wird derjenige auch wieder den einen oder anderen Schritt auf Euch zugehen.

Einen Großteil einer Depression macht die Angst aus. Die Angst andere zu verletzen, zu enttäuschen, von sich zu stoßen. Ein anderer Teil ist jedoch das Bedürfnis genau danach, allein zu sein und somit gar nicht erst in die Situation zu kommen, einen anderen Menschen verletzen, enttäuschen oder von sich drängen zu können. Es ist eine Gradwanderung - immer und zu jeder Zeit!

Was also kannst Du tun? Signalisiere, dass Du da bist, wenn es gewünscht wird. Signalisiere, dass Dir das alles nicht egal ist. Aber tu das nur ein einziges Mal. Es wird angekommen sein. Vertraue darauf. Vertrauen ist ein wichtiger Schlüssel. Bringst Du es auf, wird es Dir auch eher entgegen gebracht werden und man wird viel eher mit Problemen zu Dir kommen, Und wenn es so weit ist, dann höre zu. Höre einfach nur stumm zu. Weine mit, wenn es angebracht sein sollte. Aber sage nicht ungebeten Deine Meinung, so schwer es Dir auch fallen mag. Sei sensibel. Du baust ein Band des Vertrauen auf und Du musst Dir bewusst sein, dieses Band wird in gewisser weise immer dünner sein, als Du es von anderen Beziehungen vielleicht gewohnt bist. Dein Vertrauensstatus wird immer wieder aufs Neue auf den Prüfstand gebracht werden. Und was verloren geht, ist oft nur schwer wiederherstellbar. Manchmal kann ein einziges Wort die Welt eines Kranken zum Einsturz bringen. Auch Du wirst zum Gradwanderer! Und vergiss nicht: verliere nie das Verständnis, wenn Du diese Beziehung nicht beenden willst. Verständnis ist das A und O. Erwarte jedoch vom Kranken nicht, dass er zu Alldem im selben Maße fähig ist. Derjenige wird es nur in seltenen Fällen sein.

Und noch etwas: vermutlich gibt es einen ganz bestimmten Menschen, mit dem der Betroffene reden möchte. Wenn das nicht Du bist, akzeptiere es einfach. Es ist vermutlich nichts persönliches!