Dienstag, 15. Oktober 2019

Odyssee des Schmerzes

2 Monate schon Totalausfall
Jedoch mit Hoffnung auf Besserung

Inzwischen ist es zwei Monate her, dass mein Rücken beschlossen hat, erst einmal ein Weilchen die Arbeit zu verweigern. Und es hat sich einiges getan, auch wenn sich vieles wie Stillstand anfühlt.

Zunächst einmal wollen die Erfolge der letzten Wochen genannt sein:
Ich war fleißig in der Krankengymnastik und habe auch zuhause meine Übungen gemacht und das zahlt sich aus. Meine Haltung hat sich extrem verbessert. Ein grader Rücken ist nicht mehr nur Mythos und Eigenschaft anderer. Ich selbst bin nun auch in der Lage, mich in aufrechter Körperhaltung fortzubewegen. Zumindest beim Gehen und Treppen steigen. Im Sitzen schaut das Ganze zugegeben noch etwas unsicher aus, außer ich schiebe - so wie jetzt gerade - meinen Stuhl ganz nahe an den Tisch und zwinge mich so selbst in eine gerade Körperhaltung. Das mag ein wenig geschummelt und Trick 17 sein, doch es hilft. Also warum nicht?
Meine Schmerzen sind auch viel weniger geworden. Natürlich ziept es nochmal hier und dort und gerade nach körperlicher Anstrengung merke ich doch noch ordentlich, dass etwas nicht so ganz in Ordnung ist. Doch der Schmerz ist kein dauerhafter Begleiter mehr und überfällt mich meist nur noch nachts. Wobei gesagt sein muss, dass auch meine Nächte glücklicherweise wieder etwas länger und erholsamer geworden sind.
Und ich kann mit Stolz behaupten, bezüglich meiner Einstellung gegenüber Schmerzmitteln standhaft geblieben zu sein. Ich habe keine Schmerztabletten mehr eingenommen und dadurch mir selbst die Möglichkeit eröffnet, meinen Schmerz aber vor allem auch meine Fortschritte spüren zu können. Das war nicht immer einfach und an manchen Tagen habe ich mich dafür selbst verflucht. Aber sowohl meine Physiotherapeutin als auch ich sind der Meinung: diese Entscheidung war richtig und wichtiger Teil des Heilungsprozesses. Ich habe so ein völlig neues Körpergefühl entwickeln können, welches mich meine Grenzen genauso wahrnehmen lässt wie meine neuen Stärken. Das ist wichtig, damit ich auch zukünftig rücksichtsvoll mit meinem Rücken umgehen kann.
Außerdem unterstützen sowohl meine Physiotherapeutin als auch mein behandelnder Neurochirurg mein Vorhaben, eine Reha-Maßnahme zu beantragen. Der Antrag liegt bereits hier neben mir und ich hoffe so sehr, dass mir eine ganztägige ambulante Reha genehmigt wird vom Rententräger! An dieser Stelle wäre ich für jeden gedrückten Daumen eurerseits dankbar!

Doch natürlich läuft wie so oft im Leben auch bei Weitem nicht alles rund. Ich habe nun schon vor gut drei Wochen meinen Antrag auf Krankengeld gestellt und die Bearbeitung scheitert, wie bereits im Vorfeld von mir befürchtet, an meinem Arbeitgeber. Und das macht mich richtig sauer. Gefühlt habe ich seit Beginn meiner Erkrankung nur noch Ärger mit meinem Arbeitgeber. Hat man mir in meinem alten Projekt noch regelmäßig was von der Fürsorgepflicht gegenüber den eigenen Arbeitnehmern erzählt, so frage ich mich jetzt: wo ist diese so hoch gepriesene Fürsorge, wenn es wirklich darauf ankommt? Im Krankheitsfall.
Es ist nämlich, wie bereits in einem vorherigen Artikel von mir beschrieben, so, dass die Gehaltsnachweise elektronisch vom Arbeitgeber an die Krankenkasse übermittelt werden müssen. Das ist, sollte man zumindest annehmen dürfen, ein recht unproblematischer Vorgang. Die Daten liegen dem Arbeitgeber grundsätzlich ja vor. Mein Arbeitgeber vermittelt momentan jedoch recht erfolgreich einen gegenteiligen Eindruck. So habe ich heute nach mehrmaligen Anrufsversuchen endlich jemanden aus der Personalabteilung ans Telefon bekommen. Jene Person tischte mir dann brühwarm auf, dass diese Übermittlung der Daten bezüglich meines Gehalts an die Krankenkassen keinesfalls vor der nächsten Gehaltsabrechnung nächste Woche Montag getätigt werden könne. Das ist mit Verlaub eine bodenlose Frechheit! Ich meine, mal ganz im Ernst, wer soll denn bitte glauben, dass die EDV nur im Zusammenhang mit der aktuellen Gehaltsabrechnung in der Lage ist, elektronisch auf bereits erstellte Gehaltsabrechnungen zu zu greifen? Denn um diese geht es ja. Die bereits erstellten Gehaltsabrechnungen bis zur Beendigung meiner Lohnfortzahlungen Ende September. Das ist alles bereits im System vorhanden. Es muss lediglich weitergeleitet werden. Und die Höhe?! Per Fax sei das problemlos sofort möglich, nur elektronisch halt nicht. Ehm, ja... Danke für nichts!! Ich fühle mich richtig hart verarscht und Fürsorge sieht anders aus. So vergrault man seine Angestellten. Oder bringt sie, so wie in meinem Fall, so sehr auf die Palme, dass sie demnächst einmal dem Betriebsrat einen Besuch abstatten werden. So lasse ich mich halt echt nicht mehr kommentarlos behandeln - von niemandem.

Es ist eine Frechheit, wie in unserer Gesellschaft teilweise mit chronisch kranken Menschen umgegangen wird. Die - eventuell zeitlich begrenzte - Arbeitsunfähigkeit entwertet einen zum "faulen Stück" und "Sozialfall". Begrifflichkeiten, die nicht selten fallen und durch den angewandten Tonfall so richtig schön verletzend sind und leider oftmals auch genau darauf abzielen - Betroffene nieder machen und verletzen. Zudem fühlt man sich als chronisch Kranker gerade zu Beginn des Krankheitsprozesses oft im Stich gelassen, weil sich niemand so richtig verpflichtet zu fühlen scheint, einen über Behandlungsmöglichkeiten und das eigene Krankheitsbild, sowie notwendige Anträge oder ähnliches aufzuklären oder Prozesse zu unterstützen, die für eine mögliche Genesung unerlässlich sind. Alles muss aus Eigeninitiative heraus erfragt werden! Allem muss hinterher gelaufen werden. Ein Glück kann ich noch laufen! Aber was ist eigentlich mit den Leuten, die das nicht mehr können und die vielleicht niemanden haben, der sich um sie kümmert? Diese Frage stelle ich mir in letzter Zeit so oft. Was ist mit diesen Menschen? Wer hilft denen, die sich selbst nicht helfen können und keinen sozialen Rückhalt haben? Und ich kann das Gefühl nicht abschütteln, dass die Antwort beschämend, erschreckend und humanitär inakzeptabel ist.
Erkrankt man zudem bereits in jungen Jahren, womöglich sogar an multiplen Krankheitsbildern, so wird völlig irrational unterstellt, man habe halt einfach keine Lust zu arbeiten. Ich meine, klar, ist doch logisch: ich habe sowohl meine komplexe posttraumatische Belastungsstörung und damit einhergehende psychologische Krankheitsbilder, als auch das Rheuma, die Fibromyalgie und meine kaputten Bandscheiben darum gebeten aufzutreten, denn krank zu sein ist ja so viel geiler als gesund zu sein. Wer will schon gesund sein? Hängt ja irgendwie nur alles dran an der eigenen Gesundheit. Also, wer braucht die schon?! Ich hatte schon immer Bock, mich bereits im zarten Alter von 26 wie ein körperlicher und geistiger Totalschaden zu fühlen. Das sind Life Goals!! Oder halt eben auch nicht. Denn nichts davon habe ich mir ausgesucht. Nichts davon macht mir Spaß oder bereitet mir Freude. Ich steh nicht auf meine Schmerzen. Ich steh auch nicht auf meine Albträume, Flashbacks, Hallus und sonstigen Symptome. Alles nicht cool. Ich bin manchmal sogar richtig neidisch auf die gesunden Menschen in meinem Umfeld. Und dann muss ich mir ganz bewusst ins Gedächtnis rufen: "die haben auch ihre Päckchen zu tragen", denn andernfalls würde ich mich abschotten und diese Menschen einfach nur noch richtig kacke finden. Das ist ein Zustand, den ich nicht erreichen möchte.

Was ich dafür umso mehr möchte und hiermit fürs nächste Wunschkonzert anmelde: mehr Empathie. Dass chronisch Erkrankte keine Menschen zweiter Klasse mehr sind. Dass sich gegenseitig geholfen wird. Dass niemand abgehängt wird, wegen Leid, für welches der Betroffene nichts kann. Egal ob körperliche oder psychische Erkrankung - ich wünsche mir, dass ob sichtbar oder unsichtbar, Krankheiten wahrgenommen, akzeptiert, toleriert und auch respektiert werden. Jeder Mensch hat seine Stärken und trotz eventuell vorhandenem Handicap jedweder Art hat jeder einzelne Mensch auch etwas beizutragen, wenn man ihn lässt.

Integration steckt in ihren Babyschühchen und es ist die Aufgabe jedes einzelnen, dafür zu sorgen, dass sie bald ihre Kinderschuhe anziehen kann und dann coole Sneaker für Jugendliche und schließlich diese schnieken Anzugsschuhe, die manche Geschäftsleute so gerne tragen. Integration endet erst dann, wenn alle Menschen wirklich gleich sind.