Freitag, 13. September 2019

Odyssee des Schmerzes

Warten auf den Befund
Die Ungewissheit macht einen wahnsinnig

So schnell ich den Termin für mein MRT der Lendenwirbelsäule erhalten haben mochte, auch ich kam nicht um eine quälend lange Wartezeit herum, bis der Befund endlich bei meiner Ärztin eintrudelte. Und diese Wartezeit machte mich von Tag zu Tag mehr und mehr mürbe. Sie schadete nicht nur meiner eigenen Psyche, sondern auch meinem Umfeld. Ich wurde von Tag zu Tag angespannter, wusste nicht wohin mit mir und meinen Schmerzen. Mücken wurden zu Elefanten. Ich wurde immer emotionaler, verletzlicher, angreifbarer. Ich suchte nach Halt. Verzweifelt.

Wo mich das hin gebracht hat? In ziemlich beschissene Situationen.

Zum einen ist es psychisch natürlich extrem belastend, wenn man weiß, irgendetwas stimmt mit einem nicht. Man hat extreme Schmerzen und weiß nicht genau woher. Man merkt, man kann körperlich nicht mehr so agieren, wie noch in der Woche zuvor. Die große Frage nach dem "Warum?" schwebt mahnend über einem und gleichzeitig quält einen die schreckliche Ungewissheit des "Wie lange?".

Zum anderen kann man sich in einer solchen Situation unfassbar schwer erklären. "Ich habe Rückenschmerzen. Ich glaube, es könnte etwas mit meinen Bandscheiben sein. Ich rechne ein bisschen mit einem Bandscheibenvorfall. Ich weiß es aber nicht. Ich war im MRT und warte auf den Befund. Wann der Befund ankommt, weiß ich ebenfalls nicht", so mein Standardtext die kommenden zwei Wochen nach meinem unglücklichen Besuch in der Röhre. Das ist nicht nur für einen selbst eine absolut unbefriedigende Aussage. Arbeitgeber, durfte ich feststellen, finden das auch eher unglücklich. Das bekam ich in einem Termin bei unserem Firmen internen Berufseingliederungsmanagement in der folgenden Woche deutlich zu spüren. Am Ende waren alle beteiligten Parteien so frustriert, dass die für mich zuständige BEM-Mitarbeiterin recht ungehalten meinte: "Naja, Du bist ja halt auch kein Arzt", und ich mir ein "Shit, Sherlock, ernsthaft?!" gerade noch so verkneifen konnte. Was erwartete man denn in diesem Moment da auch von mir? Ich hatte doch selbst keine einzige Antwort auf alle meine Fragen.
Natürlich blieb ich dennoch ruhig und freundlich. Was sollte ich auch machen? Gegenanstänkern? Schlechte Idee. Schon wieder brav zu allem "ja" und "amen" sagen? Ne, sorry, dafür war mein Schmerzpegel inzwischen dann doch zu hoch. Also? Klappe halten, mich für das Gespräch bedanken, gehen und mich bei meinem derzeitigen (noch-)Teamleiter über das Ganze auskotzen. War vielleicht auch nicht die galanteste Lösung, aber immer noch besser, als tatsächlich mit einem "Shit, Sherlock, ernsthaft?!" um die Ecke zu kommen.

Und natürlich bekommt auch das private Umfeld so seine Auswirkungen des Ganzen zu spüren. Man ist plötzlich nicht mehr so geduldig mit seinen Freunden und Mitmenschen, wie man es sonst vielleicht immer gewesen ist. Plötzlich will man sich selbst in irgendeiner Form in den Fokus gerückt sehen. Man möchte und braucht Aufmerksamkeit, denn man fühlt sich nicht nur ein bisschen aus der Bahn sondern ziemlich doll aus dem Leben geworfen. Das soziale Umfeld schrumpft zusammen und man hat keine Ahnung, wann der Urzustand wiederhergestellt sein wird, geschweige denn, ob das überhaupt der Fall sein wird.

Blöd ist es natürlich, wenn man in dieser sowieso schon verletzlichen Position auf die Idee kommt, sich nochmal extra verletzlich zu machen und eine Textnachricht an einen Lieblingsmenschen zu verfassen, in der man demjenigen erstmals sagt: "Hey, ich mag dich. Also so richtig. Und ich kann mir eine gemeinsame Zukunft mit dir in welcher Form auch immer ernsthaft vorstellen. Das macht mir zwar irgendwie Angst, aber Du machst etwas mit mir, das mich auf all diese Ängste scheißen lässt". Was in der Kürze und Prägnanz vielleicht noch okay gewesen wäre. Ich schoss jedoch einmal mit Anlauf und vollem Karacho übers Ziel hinaus und es wurde ein ganzes Gedicht daraus, auf welches eine direkte Antwort ausblieb. Was bei mir zu Paranoia, Vorwürfen mir selbst gegenüber und Panik führte, einen mir wirklich wichtig gewordenen Menschen aus meinem gerade eh schon nicht so pralle laufenden Leben vertrieben zu haben.
Zum Glück blieben bei all dem Trubel noch mindestens drei Hirnzellen intakt und ich schaffte es ein persönliches, klärendes Gespräch herbei zu führen. Und das Gespräch lief wirklich gut. Ich war am Ende komplett erleichtert, alles würde beim Alten bleiben, es würden sich Wege finden, ganz ohne Druck - Lieblingsmensch gerettet. Ich konnte die Nacht bei ihm bleiben, begleitete ihn am nächsten Morgen wie gewohnt zum Bus und wir verabschiedeten uns genauso herzlich, wie ich es von uns gewohnt bin.
Damit wir beide mal wieder so richtig den Kopf frei bekommen könnten, schlug ich sogar noch einen Ausflug am nächsten Tag, einem Sonntag, vor, welchem er direkt zustimmte. Und ohne ins Detail gehen zu wollen - das war der schönste Ausflug meines Lebens. Es war herzlich, fröhlich, liebevoll, wir machten neue Pläne, waren inspiriert als Künstler, regelrecht euphorisiert. Ich kam mir zum ersten Mal im Leben vor wie eine Märchenprinzessin. Und es war cool. Ich hatte gar nicht das Bedürfnis, die Schildmaid zu mimen. In seiner Gegenwart sind keine Schutzmauern notwendig.
Und nun... habe ich seit einer Woche nichts mehr von ihm gehört. Weil ich erneut zu schwach war, meine Situation auszuhalten. Weil ich erneut einer eigentlich gar nicht so dramatischen Alltagssituation im zwischenmenschlichen Beisammensein nicht standhalten konnte. Und am letzten Donnerstag hatte ich nicht einfach nur schlechte Laune. Ich hatte einen kompletten Nervenzusammenbruch. Ich weinte, fluchte, war offen verzweifelt.

Der Befund, die Krankengymnastik, die Ungewissheit bis zum noch ausstehenden Termin beim Facharzt und dann noch eine auf völlig blöde Art und Weise geplatzte Verabredung waren zu viel für mich. Mein Fass war voll, lief über und die Flutwelle erwischte den Falschen...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen