Mittwoch, 16. Januar 2019

5 Minutes of Honesty

Generation Beziehungsunfähig
Monogamie ist auch bloß eine Ideologie

«Wir sind jetzt alle in polygamen Nicht-Beziehungen:
jeder f*ckt jeden, man muss bloß offen drüber reden.»

Momentan begegnen mir die Themen "Beziehung", "sexuelle Ausrichtung" und "Treue" immer wieder. Und ich bin stets aufs Neue überrascht, wie divers und vielfältig dieses Thema inzwischen geworden ist - und wie feindlich sich die einzelnen Lager doch gegenüberstehen. Toleranz ist wie so oft mehr Schein als sein. Leben und leben lassen, nur eine Floskel, die am ehesten greift, wenn die Lebensphilosophien übereinstimmen.

Doch ich finde es sehr interessant, den Menschen in meinem Umfeld zu lauschen, wenn sie diese Thematik auf den Tisch bringen. Wir sind nun alle Anfang bis Mitte Zwanzig und Partnerschaft wird immer zentraler für uns. Und scheinbar haben wir alle sehr unterschiedliche Konzepte davon, was das eigentlich bedeutet.

Natürlich gibt es immer noch die recht klassische Einstellung: zwei Menschen, meist Mann und Frau, verlieben sich, leben in einer monogamen Beziehung, in der Untreue ein Tabu ist und heiraten schließlich, wenn sie sich sicher sind, das Leben gemeinsam bis zum Ende führen zu wollen. Es folgt die Familienplanung und aus Eheleuten werden Eltern.
Eigentlich eine sehr romantische Herangehensweise an das Thema Partnerschaft. Die Sehnsucht nach lebenslanger Bindung und gemeinsamer Fortpflanzung. Ich kann sie gut verstehen. Manchmal träume auch ich davon. Mann, Kinder, Heirat, Glückseligkeit. Doch dann kommt es mir vor, als sei das alles bloß Illusion und lediglich anderen vorbestimmt.

Glückseligkeit. Diese bedeutet für jeden von uns etwas anderes. Für viele spielt das Thema Ehe immer weniger eine Rolle in ihrem Leben. «Ich kann meinen Partner auch ohne Ring am Finger und vor allem ohne Eheschliessungspapiere lieben.» Und ja, natürlich kann man das. Sehr gut sogar, würde ich behaupten. So sagte eine Freundin letztens, sie  könne gern ihr ganzes Leben verlobt sein, ohne je die Ehe ausüben zu müssen. Und ihre Argumente waren gut. Die Verlobung an sich sei schließlich bereits die Kundgebung der Absicht, das Leben gemeinsam verbringen zu wollen. Sollte jedoch diese Absicht sich eines Tages ändern, kommt es nicht zu den Unannehmlichkeiten einer Scheidung. Es ist weiterhin eine ganz einfache Trennung. Naja, einfach. So einfach wie Trennungen nun einmal sind.
Schnell herrschte bei allen an der Diskussion beteiligten die Einigkeit darüber, dass die Ehe doch eher zweckdienlich ist, wohingegen die Verlobung ein Bekenntnis sei. Die Ehe hingegen dient steuerlichen Vorteilen und sei eher etwas, was für uns im höheren Alter nach jahrzehntelanger Beziehung zur finanziellen und rechtlichen Absicherung des Partners dienlich werden könnte und sollte.

Ehe also erst ab 50+? Ja, damit kann ich mich anfreunden. Doch was liegt davor?
Idealerweise Jahrzehnte an bereits geführter Partnerschaft. Angesichts meines Alters von 26 Jahren würde das jedoch bedeuten, ich müsste diesen Partner auch schon in den nächsten Jahren ausfindig machen. Irks, Zeitdruck. Eine tickende biologische Uhr. Und die der Beziehungsthematik oft anhängende Frage: und was ist mit Kindern?

Ja, was ist eigentlich mit Kindern? Scheidungskinder werden immer häufiger, Alleinerziehende sowieso und immer mehr Kinder leben in Pflegefamilien. Mein Sohn ist eines dieser Kinder. Er lebt nicht mehr bei mir, schon gut zwei Jahre nicht mehr. Er ist in Pflegschaft. Bei seinen Großeltern, meinen Eltern, sieht diese als seine Eltern an und bezeichnet sich auch ganz klar als deren Kind, nennt mich jedoch immer noch "Mama". Für viele, auch in meinem Freundeskreis, eine befremdliche Konstellation und nicht selten werde ich gefragt: "Und wann holst Du ihn zu Dir zurück? Wirst Du ihn denn überhaupt zu Dir zurück holen?" und um dem Thema zu entgehen, lautet meine Antwort dann zumeist "ich weiß es nicht". Dabei weiß ich es eigentlich recht genau. Ich liebe meinen Sohn und er ist ein wundervoller, intelligenter Junge, der bestimmt einmal ein toller Mensch wird. Doch ich möchte ihn nicht zu mir zurück nehmen. Ich bin nicht gut für ein Kind. Erst recht nicht ich alleine. Dafür sind meine schlechten Phasen noch zu häufig und zu prägnant und er zu wertvoll und schützenswert. Hinzu kommt, offen gesprochen, dass wir unsere Leben von einander getrennt haben. Er lebt sein Leben mit seinen (Groß-)Eltern, seinen Kindergartenfreunden und allen zwei Wochen dem Papa und ich lebe mein Leben mit der Arbeit, Freunden und meinem Kater. Zwar bin ich bestrebt, wieder mehr Zeit mit dem Kind zu verbringen, doch ich strebe nicht danach, unsere Lebenswege erneut zu verschmelzen. Er übrigens auch nicht! Und seine Meinung dazu ist mir durchaus wichtig.
Ich habe mit dem Thema Familienplanung tatsächlich abgeschlossen. Manchmal, wie gesagt, träume ich noch von dem Ideal "Mann, Kinder, Heirat, Glückseligkeit", doch Ideale sind Ideale und eigentlich weiß ich: ich will all meine Erfahrungen rund um das Thema Partnerschaft und Kind keinesfalls erneut durchleben müssen und der sicherste Weg dies zu verhindern, ist dem Thema Kinder ein für alle Mal abzuschwören. Nicht selten denke ich sogar ganz bewusst über eine Sterilisation nach - leider kein sehr günstiges Vergnügen. Und ein Thema, was häufig auf Gegenwehr im Bekanntenkreis stößt: "Bist Du Dir da ganz sicher?", "Aber Kinder sind doch so etwas tolles! Und mit dem richtigen Partner..." oder mein Favorit: "Was machst Du, wenn Du deinen Traummann kennenlernst und er unbedingt noch eigene Kinder möchte, Du jedoch nicht mehr zeugungsfähig bist?" Dumme Antwort: "Eben nicht seine Traumfrau sein", ganz einfach. Und ja, es ist so einfach. Denn wohl wichtigster Bestandteil der festen Partnerwahl ist es, gegenseitig herauszufinden, ob Ideale und Zukunftsvorstellungen korrespondieren oder nicht zu vereinbaren sind, so dass eine Partnerschaft langfristig sinnlos ist.

Feste Partnerwahl, langfristig. Ich weiß schon jetzt, dem einen oder anderen stehen bei diesen Worten die Nackenhaare zu Berge. Bindung ist beängstigend. Sie ist fragil. Sie ist Pflege intensiv. Und sie ist, wie das Wort an sich bereits ausdrückt: verbindlich. Ein Umstand, der heute vielen nicht mehr in ihr Konzept vom Leben passt. Wir wollen ungebunden sein und frei. Frei zu tun und lassen, was uns gefällt und unserem eigenen Leben dienlich ist. Wir sind Egoisten. Kompromissbereit nur so lange es angenehm bleibt. Wird es schwierig, nehmen wir den Notausstieg. Beziehungen werden am besten gar nicht mehr als solche definiert. Das Wort "Beziehung" zum Unwort erklärt. So etwas will man nicht. Das Leben ist ernst genug, warum sollte auch die Liebe es sein oder gar die eigene Sexualität? Und so geben sich immer mehr der Oberflächlichkeit des Datings oder kurzer Affären hin.
Auch ich lande ständig in dieser Spirale aus Kennenlernen, Zeit verbringen, igitt Gefühle und Tschüss. So hält keine meiner natürlich nicht als solche definierten Beziehungen länger als drei bis vier Monate. Es sind alles nur kurze Kreuzungen von Lebenswegen. Für den Moment sehr befriedigend, das gebe ich zu, und nicht selten bereichern einen diese Begegnungen auch um wertvolle Lebenserfahrungen. Und doch ertappe ich mich am Ende doch bei dem Gedanken: wie schön, wenn das länger gehalten hätte und dieser Mensch noch immer Teil meines Lebens wäre. Bis man ihn oder sie verdrängt und weiter zieht - ins nächste dreimonatige Abenteuerchen.
Dabei klingt vor allem eines durch: die Sehnsucht nach dem, welchem man sich so fleißig verschließt - Bindung, Verbindlichkeit, echte Partnerschaft, gemeinsam durch dick und dünn zu gehen: eine ganz klassische, langfristige Beziehung zu führen.

Und manche tun das. Sie leben eventuell sogar zusammen. Haben schon einige gemeinsame Jahre verbracht. Kennen einander gut. Und dennoch betrachten sie sich nicht als Teil einer festen Bindung - sie leben ihre Beziehungen offen. Es gibt weitere Partner in diesen Konstrukten - mal mehr mal weniger fest verankert. Den einen nur zum Spaß, für Sexuelles. Den anderen liebt man vielleicht sogar ein wenig. Aber den Kern bildet das schon lange vorhandene: die offene Beziehung zweier Menschen, die, um dieses Konzept tatsächlich so leben zu können, ehrlich miteinander sein müssen, vertrauensvoll und tatsächlich in Liebe zu einander verbunden. Und dennoch, behaupte ich, wird es durch diese Lebensweise zu Verletzungen kommen, auf beiden Partnerseiten. Es wird zu Eifersucht und Streit kommen. Denn Eifersucht, Streit und Verletzung sind ganz normale Bestandteile einer jeden zwischenmenschlichen Bindung - shiet egol, als was ich diese definiert haben mag.
Leider ist dieses Konzept von Zwischenmenschlichkeit oft von der kompletten Ablehnung der Monogamie als bloßes Ideal und Widernatürlichkeit geprägt. Es ist also trotz all seiner Offenheit recht intolerant gegenüber dem vermeintlich Rückschrittlichen. Nicht selten kommt es so zur intellektuellen Ausgrenzung derer, die Verfechter der oben umschriebenen klassischen Beziehungskonzepte sind. Sie gelten als konservativ und verblendet und ihnen wird nur wenig Positives entgegengebracht.

Was jedoch essenziell wichtig ist in einem offenen oder gar polygamen Partnerschaftskonzept ist die Gleichberechtigung aller Beteiligten. Mann muss dürfen, was Frau darf. Frau muss dürfen, was Mann darf. Darf der eine zu Dates gehen, darf es auch der andere. Darf der eine mit anderen Menschen schlafen, darf es auch der andere. Darf der eine mehrere Partner haben und auch lieben, so darf es auch der andere. Es ist die Verabschiedung von der Betrachtung des ursprünglichen Partners als persönlicher Besitz und Subjekt, welchem gegenüber man individuelle Ansprüche hat.
In der Theorie klingt das erst einmal sehr befreit und tolerant.
In der Praxis und Umsetzung ist es eines der wohl kompliziertesten und beanspruchensten Konzepte von Partnerschaft, die der Mensch sich bisher erdacht hat. Es erfordert ein Höchstmaß an Kommunikation unabhängig ihrer Ausrichtung, es erfordert ein Höchstmaß an Vertrauen und Feingefühl im Umgang mit anderen Menschen, außerdem sind Ehrlichkeit und stete Offenheit unerlässlich. So wird aus der vermeintlich errungenen großen Freiheit schnell ein Problem und mag der eine noch glücklich und überzeugt sein von Offenheit und Polygamie, so mag der andere diese längst verfluchen. Und es erscheint mir ebenfalls als ein eher kurzlebiges Partnerschaftskonstrukt. Wenigstens für diejenigen an der Partnerschaft beteiligten, die nicht die ursprünglichen Partner des Ganzen sind.

Vielleicht, so scheint es mir manchmal, ist es doch das Single-Dasein, welches das Leben am einfachsten macht. Natürlich bietet auch dieses Nachteile wie gelegentlich auftretende Einsamkeit und das Vermissen eines Menschen zum Kuscheln und Liebhaben. Aber wie eine Arbeitskollegin es letztens so schön sagte: Warum kaufen, wenn man leasen kann? Sie zog damit eine recht schöne Analogie zwischen Autokauf und Partnerwahl. Denn was man mangels Partnerschaft vermissen mag, kann man sich meist auch ohne jegliche Bindung irgendwie beschaffen - sei es ein One-Night-Stand mit einer Diskobekanntschaft oder ein kuscheliger Filmabend mit einem Freund oder einer Freundin.

Wir leben in einer Zeit großer Diversität und theoretisch ist alles möglich. Es sind lediglich die Ideale in unseren Köpfen, die uns davon abhalten mögen, unser eigenes Beziehungsideal zu schaffen und zu verfolgen. Und auch die Loslösung von jeglichen Idealen getrost dem Motto "Ich nehme die Dinge jetzt einfach wie sie kommen" ist keineswegs ein schlechter Weg. Egal welchen Pfad man auf dem Weg zum eigenen Glück beschreitet, gerade dem zum zwischenmenschlichen Glück, das Wichtigste auf dieser Reise ist und bleibt die Treue sich selbst gegenüber und die Akzeptanz, dass jeder Mensch verschieden und dennoch gut ist, so wie er ist.

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