Samstag, 15. August 2015

Black Dog Story

Notfall OP

Es muss der 16.09.2010, ein Donnerstag, gewesen sein. Nachdem meine Eltern mir erst nicht hatten glauben wollen wegen meines Fußes, hatten sie mir schließlich - ich hatte nicht aufgehört zu weinen - so weit Gehör geschenkt, dass mein Vater mich zu meinem behandelnden Orthopäden fuhr. Und dieser verlor keine Zeit! Er schickte uns direkt weiter in die Lubinusklinik, wo man erneut ein MRT Bild von meinem Rücken fertigen sollte und entscheiden würde, wie es nun weiter ginge.

Wir fuhren also in die Klinik und das MRT Bild wurde gefertigt, direkt im Anschluss wurde ich mit der Bilder CD zu einem behandelnden Arzt innerhalb des Klinikums geschickt. Es folgten ein Gespräch über meinen gesundheitlichen Zustand und die Entscheidung zur OP. Gut, hatte ich damals gedacht, dann in ein paar Wochen halt zur OP. Doch es waren keine Wochen mehr, es waren Tage.
Am Freitag wurden im Klinikum die für die Op nötigen Stationen abgeklappert. Man zeigte mir die Station, auf der ich bleiben würde, wo dann auch direkt ein Arzt das OP-Gespräch führte. Mein Vater und ich lachten noch über die Risiken. Ein Mal in 25 Jahren würden jemandem, da in Bauchlage operiert wird, die Blutgefäße im Bauch platzen und sie müssten denjenigen mit geöffneter Operationswunde in Rückenlage bringen und den Bauch ebenfalls öffnen, um die Blutungen zu stoppen und ein inneres Verbluten zu verhindern. Keine Ahnung warum, aber wir fanden die Vorstellung witzig. Man erzählte mir auch, dass ich als zweite am kommenden Montag, dem 20.09. operiert werden würde. Vor mir war noch ein dreijähriges Kind mit fehl gestellter Hüfte im OP angemeldet. Mir tat dieser kleine Junge unendlich leid, doch ich lernte ihn noch am selben Tag kennen und dieser Dreijährige hat mich zu so vielem inspiriert! Er war so unendlich tapfer!!
Nach dem OP-Gespräch folgte der Besuch beim Anästhesisten und schließlich konnte ich das Klinikum bis zum Sonntag Abend noch wieder verlassen.

Für das Wochenende war meine damalige Freundin aus Bremen angereist. Sie hatte den Samstag und den Sonntag wenigstens bis zum Nachmittag noch mit mir verbringen wollen. Außerdem war sie erst kürzlich aus ihrem Urlaub in Japan wiedergekommen und hatte mir für meinen Klinikaufenthalt unbedingt noch etwas mitbringen wollen - einen Pikachu Kigurumi! Leider besitze ich diesen seit meinem Auszug bei meinen Eltern nicht mehr. Doch dieser Besuch hatte mir Kraft gegeben.

Mein Vater fuhr mich also am Sonntag Abend in die Klinik, wo ich dann alleine die Nacht auf den Montag verbrachte und bis nach der Operation auch allein bleiben würde.

Es war so ein unendlich beschissenes Gefühl, alleine hinunter in den OP gefahren zu werden, mich dort vor Fremden zu entkleiden und von einer echt unfreundlichen Krankenschwester für die Narkose entgegen genommen zu werden. Fest entschlossen nicht zu weinen, sang ich leise Guren von the GazettE, bis ich in die Narkose entschlief.
Als ich im Aufwachraum wieder zu mir kam, durchzog meinen Körper sofort ein brennender und stechender Schmerz. Weinend rief ich nach einer der Schwestern. Diese konnte kaum glauben, welche Schmerzen ich in dem Moment ertrug. Man hätte mir während der OP so starke Mittel gespritzt, sie könne mir nichts geben. Doch ich hörte nicht auf zu weinen und zu zittern. Die Schmerzen waren viel zu stark! Man zog also einen Arzt zu Rate und beschloss, mich an einen so genannten Schmerzmitteltropf anzuschließen. So könne ich mir mit Hilfe einer Pumpe, deren Knopf mir in die Hand gelegt wurde, über die Braunüle in meinem Handgelenk selbst Schmerzmittel zuführen, wenn ich diese brauchte. Und ich brauchte sie! Der Schmerzmittel-Missbrauch der letzten Monate hatte mich nahezu immun gemacht.
Mich kaum beruhigen könnend, weinte ich nach meiner Mama und wollte nirgendwo anders mehr hin als auf mein Zimmer und zu meiner Mutter. Diese musste allerdings erst noch angerufen werden. Doch immerhin machten meine Eltern sich nach diesem Anruf direkt auf den Weg und fuhren zu mir ins Krankenhaus. Sobald sie da waren, schob man mich aus dem Aufwachraum und brachte mich zu ihnen auf mein Krankenzimmer.

Ich weiss noch, wie meine Mutter mir die Stirn streichelte. Ich solle mich beruhigen und schlafen. Mein Körper bräuchte jetzt Schlaf. Und ich spürte und wusste, wie wenig sie dort bei mir sein wollte. Sie war gegen die Operation gewesen, hatte diese für ein unnötiges Risiko gehalten, nahm mir die Operation sogar irgendwie übel.
Erst redete ich gegen an, dann tat ich so als würde ich tatsächlich einschlafen. Nur um zu hören, was nicht für meine Ohren bestimmt gewesen war. Mein Vater hatte seine Stimme erhoben: "Können wir endlich gehen? Wenn eine halbe Stunde rum ist, wird der Parkplatz teurer."

Das blieb der einzige Besuch meiner Eltern im Krankenhaus, sie mussten schließlich arbeiten, und ja verdammt, daran zu denken tut noch heute extrem weh. Zum ersten Mal, während ich die Black Dog Story schreibe, gerate ich an einen Punkt, an dem ich kaum weiter schreiben kann. Mir schnürt sich der Brustkorb zu und ich sitze weinend vorm PC. Hier sind wir, lieber Leser, nun also gemeinsam bei einem Trauma angekommen, welches mich noch heute nicht loslässt. Fast fünf Jahre danach.

Nun denn... ich war also nicht eingeschlafen und wie selbstverständlich drückte ich immer und immer wieder den Knopf der Pumpe am Schmerzmitteltropf. Irgendwann im Tagesverlauf rief mich eine Freundin an. Ich erinnere mich nicht an das Telefonat, so zugedröhnt war ich. Doch sie sagt bis heute, wir haben fast drei Stunden telefoniert; muss aber auch zugeben, wirklich klar war ich nicht gewesen.
Die Schwestern stellten später erschrocken fest, dass ich die Schmerzmittel tatsächlich bis zum Abend aufgebraucht hatte. Man füllte nicht auf.

Am Dienstag bekam ich eine sehr nette ältere Dame mit in mein Krankenzimmer. Zudem kamen meine Großeltern mich besuchen. Und eine Freundin war auch kurz zu Besuch gekommen. Es ging mir nicht gut, doch diese kurzen Besuche heiterten mich ein wenig auf. Ich konnte bereits wieder aufstehen und kurze Strecken laufen.
Abends war dann auch noch mein damals bester Freund zu Besuch gekommen, hatte sich ein paar meiner CDs ausgeliehen und war schließlich nach dem Abendbrot von den Pflegern auf Station gebeten worden, zu gehen. Damals habe ich diesen Menschen wirklich sehr geliebt. Er war wie ein Bruder für mich. Er war mehr. Schade, dass er sich nur ein halbes Jahr später, ohne sich dies je bewusst zu machen, in meinen schlimmsten Albtraum verwandelte...

Am Mittwoch erreichte mich ein Anruf. Meine Tante wollte mir eine gute Besserung wünschen und auch mein Cousin nutzte die Gelegenheit, mit mir zu sprechen. Er erzählte mir, wie er an der neuen Schule gemobbt würde und wie gemein die anderen Kinder zu ihm waren. Es brach mir das Herz und ich fühlte mich so schrecklich hilflos. Die alte Dame im Bett neben meinem tröstete mich. Sie war meine einzig wirkliche und beste Begleitung durch jene Tage.
In der Visite teilte mir der Chefarzt schließlich mit, ich könne am nächsten Tag nachhause. Als er an das Bett der alten Dame heran trat, sprach sie jedoch nicht wie sonst von sich. Sie erzählte ihm ihre Beobachtungen, wie meine Familie mich nicht beachtete, wie sehr ich psychisch litt. Der Chefarzt trat nun wieder an mich heran. Er erklärte mir, dass ich auch mit fast 18 Jahren das Jugendamt zu Hilfe ziehen könne. Er selbst würde nicht anrufen, ich war schließlich Siebzehn. Doch er empfahl es mir dringlich. Ich lehnte ab. Niemals würde meine Familie mir das verzeihen, niemals könne ich ihnen das antun. Niemals dauerte kein halbes Jahr an.
Nach der Visite rief ich also meinen Vater an, er sollte mich am Donnerstag Morgen abholen. Die genaue Zeit wisse ich noch nicht, aber wohl so gegen neun. Wir gerieten in Streit. Er würde mich nicht abholen! Verzweifelt rief ich, nachdem ich mich ausgeweint hatte, also meine Mutter an, welche von meinem Vater bereits über den Streit erfahren hatte. Ich seie frech geworden und undankbar und dürfe meinem Vater gegenüber nicht so beleidigend sein. Vielleicht wäre es besser, meine Großeltern holten mich ab und ich bliebe erstmal bei ihnen.
In Vorbereitung auf meine Entlassung zeigte man mir also, wie ich nun Treppen zu steigen hätte. Man schrieb mich für weitere drei Wochen krank. Ich watschelte schlimmer als jeder Pinguin.

Und so war es dann auch. Am Donnerstag Morgen holten meine Großeltern mich ab und wir fuhren zu ihnen, statt in mein zuhause und ich glaubte tatsächlich, es wäre gut so...

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