Mittwoch, 12. August 2015

Black Dog Story.

Beginnende Pubertät

Selbst verletzendes Verhalten war natürlich nicht das einzige, was meinen Start in die Pubertät begleitete. Es passierte mir im Vergleich zu anderen Betroffenen sogar sehr selten.

Nun zu dem Kommenden: ich werde in diesem Kapitel nur sehr wenige zeitliche Zusammenhänge nennen. Ich nenne viele Zeitpunkte nicht nicht weil ich es nicht will, sondern weil ich es schlicht gar nicht kann.

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Über die Schule nahm ich einige Jahre in Folge am Programm für hochintelligente/-begabte Schüler teil. Hierbei handelte es sich nicht um Förder- sondern - Achtung, Wortspiel des Bildungsministeriums - außerschulischen Forderunterricht. Der forderte mich tatsächlich jedoch so wenig, dass ich in jener Zeit meine Schulschwänzer-Karriere begann und immer häufiger Ausflüge an die Kieler Förde machte, als zu jenem Nachmittagskurs namens "Ökologie der Ostsee" zu gehen. Nicht dass der Kurs schlecht gewesen wäre. Aber Mikroskopieren fand ich schon immer eher langweilig und über die Ökologie der Ostsee wusste ich in der, es muss ungefähr die 8te Klasse gewesen sein, auch längst bestens bescheid. Ich war als Kind Hobby-Meeresbiologe und Paläonthologe gewesen.
In der Schule selbst kannte meine Lustlosigkeit mit der Zeit keine Grenzen mehr und meine Kritik am deutschen Schulsystem wuchs und wuchs. So bemängelte ich immer offener die Wertstellung der aus meiner Sicht so völlig *hier beliebiges abwertendes Schimpfwort einfügen* mündlichen Beteiligung und machte durch meine Verweigerung eben dieser deutlich, wie sehr ich mir ein System des stillen Lernens wünschte. Meine Ohren konnten den Schwachsinn vieler Wortmeldungen kaum ertragen, geschweige denn deren Sinnhaftigkeit für den Lernprozess des ihn aussprechenden Individuums erkennen. Meine Lehrer trieb ich damit bis zur 11ten Klasse in den Wahnsinn und nicht wenige appellierten an meine Vernunft. Vergeblich. Meine Noten wurden mangels mündlicher Leistungen schlechter und schlechter.

In meiner Freizeit hatte ich mich vollkommen in die japanische Visual Kei Bewegung verliebt. Ich zeichnete meine liebsten Musiker, wollte aussehen wie sie und ihr Leben leben. Sogar auf einige Konzerte japanischer Rockbands konnte ich gehen! Und ich trug den Visual Kei, wiederum zum Leidwesen mancher Lehrer, auch mit in die Schule. Meine Kleidung wurde düster und unangemessen. Ich perfektionierte meine Außenseiterrolle und fühlte mich damit durchaus wohl.
Ich stach mir selbst eine Unmenge an Ohrlöchern, 19 um genau zu sein. Irgendwann begann ich mit einem Strohhalm mein erstes Lobe zu dehnen. Ich war da schmerzbefreit. Auch erste Piercings stach ich mir selbst. Meine Mutter hätte sie mir am Liebsten wieder aus der Lippe gerissen und drohte unter anderem auch genau damit.

Am Visual Kei faszinierte und verführte mich vor allem die auf der Bühne gelebte Androgynie der Musiker. Und die Schönheit der japanischen Sprache, mit welcher sich unfassbar tiefgehende Metaphern wundervoll formulieren lassen. Aber auf die Androgynie bezogen: es sprach mich einfach an! Ich selbst kam mit meinem Körper, seit mir mein Busen mit neun gewachsen war, nicht mehr klar. Nicht selten hatte ich meine Mutter in den Folgejahren gefragt, ob ich die Dinger nicht einfach abschneiden könne. Klamotten kaufen? Am liebsten nur in der Jungenabteilung! In der VK Szene war mein Bedürfnis nach maskulinem Aussehen gar kein Diskussionsthema. Sollte ich doch machen! Es störte niemanden, wenn ich mir den Busen abband oder Jungenkleidung trug. Ich war akzeptiert, nicht verkleidet wie sonst immer und wie ich es heute oftmals, zumindest gefühlt, wieder bin. Ich war ein Stück weit tatsächlich frei.

Und ich lernte, dass Liebe frei von Geschlechtern ist. So verliebte ich mich in eine Frau, die heut ein Mann ist. Ich verliebte mich in einen Mann, der als gewalttätig galt und mir ein Poet war. Ich schenkte meinen ersten Kuss einem bi-sexuellen, Männer bevorzugenden Mann, der in mir einen anderen Mann sah. Ich verliebte mich in eine Frau, neun Jahre älter als ich selbst. Ich verliebte mich in einen femininen Mann, der im Scherze mir die Frau und dem ich der Mann war. Ich verliebte mich in eine Frau, wie schöner sie kaum hätte sein können. Ich verliebte mich in eine Frau, hunderte Kilometer entfernt von mir. Ich verliebte mich in die Richtigen. Und ich verliebte mich in die Falschen. Ich verliebte mich so oft und so vielfältig. Ich muss heute von mir sagen: Ich liebte die Liebe! Doch ich liebte nie lange.
Wobei ich liebte nie lange falsch formuliert ist, da ich einige dieser Leute noch heute liebe und meine Sehnsucht nach ihnen nicht selten schmerzt. Nein, ich hielt es in Beziehungen bloß einfach nie lange aus. Ich bin nicht der Typ für bis dass der Tod uns scheidet. Ich bin halt eher der Typ für kurz und intensiv.

Mein Leben war trotz schwarzem Hund also ganz ganz sicher nicht immer schlecht. Es war chaotisch und kontrovers und gewiss nie wirklich gesellschaftskonform, aber es war ein Leben, welches ich bis zu einem gewissen Punkt sogar sehr gerne gelebt habe.

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