Freitag, 2. Juni 2023

It's okay to be queer!

In & Out of Queerness

Natürlich hätte ich diese Reihe sinnigerweise starten können mit einem simplen Coming-Out, welches euch ein paar Labels um die Ohren haut und dann wisst ihr bescheid. Aber es geht hier nach wie vor nicht um mich als eine Art Selbstdarsteller und das wäre auch gar keine realistische Wiedergabe der Reise zum heutigen Zeitpunkt und meinem heutigen Selbstverständnis, welches darüber hinaus noch immer in Teilen unklar und chaotisch ist.

Wo fange ich also an?
Am Besten am Anfang.

Als Kind sind Geschlecht und Sexualität mehr oder weniger fremde Begriffe und selbst wenn die Begriffe bekannt sind, das Konzept dahinter ist dann doch meist noch eher unklar. Zumindest ging es mir damals so. Vor sagen wir 25 Jahren, also als ich 5 Jahre alt war und langsam damit begann ein gewisses Selbstverständnis zu entwickeln, gab es der geläufigen Meinung nach genau zwei Geschlechter: Jungen und Mädchen. Und welches davon man war, das entschied sich bei der Geburt anhand des primären Geschlechtsmerkmals. Während also im Mutterleib dank noch nicht so gut entwickelter Ultraschalltechnik und meiner wohl recht ausgeprägten Klitoris ganz klar war: dieses Kind wird ein Junge, kam ich dann zur Welt und meine Eltern wurden zur Geburt ihrer Tochter beglückwünscht. Der Stempel war gesetzt: Mädchen. So steht es in meiner Geburtsurkunde und so war das dann halt einfach.

Dass das Ganze eben doch nicht so einfach würde, muss zumindest meiner Familie schon recht früh klar geworden sein, weil ich den Erwartungen, welche mit diesem "Mädchen sein" einhergingen dann doch nur selten und wenn auch nur unter Protest nach kam. Für mich war es immer ein Abwägen zwischen "ich bin aber so und so" und "die Erwachsenen bestimmen das jetzt so". Klar. Als Kind bestimmt man noch nicht über das eigene Leben. Man erhält Anleitung und Regeln und je nach Erziehungsmethode eben mehr oder weniger Freiheit zur Selbstentfaltung.

Mit den Jahren, in meinem Fall war ich 9, kommen dann sekundäre Geschlechtsmerkmale hinzu. Mir wuchs ein recht üppiger Busen und zumindest für alle um mich herum war nun wieder einmal bestätigt: Mädchen.

Für mich selbst begann nun aber etwas ganz anderes klar zu werden: kein Mädchen.

Ich entwickelte in dieser vor-pubertären Phase also regelrecht misogyne Einstellungen zu den Frauen und Mädchen in meinem Umfeld und trainierte mir somit an, was ich heutzutage als toxische Maskulinität bezeichnen würde. Denn ich fand absolut scheiße, was ich war und das wurde nun einmal mit dem Label "Mädchen" betitelt, also konnte die einzig logische Schlussfolgerung zu jenem Zeitpunkt nur lauten "Mädchen (und folglich auch Frauen) sind scheiße!" - das lag für mich klar auf der Hand. Und es schien zu jener Zeit auch der letzte mir noch verbleibende Konsens mit den Jungs zu sein, welche mich nun zwar dank meines wachsenden Busens auch als ein solches Mädchen sahen, aber von denen ich wollte, dass sie mich weiterhin in ihrer Mitte akzeptierten. Bis dorthin waren wir schließlich immer ganz unhinterfragt Bolzkumpel und Freunde gewesen und ich hatte mir meinen Platz zwischen meinen männlichen Altersgenossen nie zuvor erkämpfen müssen. 

Aber Zeiten ändern sich. Der Körper ändert sich. Hormone machen Dinge mit einem.

Im Teenageralter sorgten besagte Hormone dann für erste Verliebtheiten. Und ich fand ziemlich schnell heraus, dass ich mich emotional zwar zu beiden Geschlechtern hingezogen fühlte, ein Penis mich jedoch abschreckte. Also logische Schlussfolgerung zu jenem Zeitpunkt: "Mädchen sind nicht länger komplett scheiße, Jungs sind zwar ganz süß, aber - ich bin lesbisch."

Das entsprechende Coming-Out bei meinen Eltern hatte ich dann mit 14 oder 15.
"Mama, Papa - ich bin lesbisch."
Papa fand es super, denn ich könne so wenigstens nicht schwanger werden.
Mama fand es nur so semi super, weil sie unbedingt Oma werden wollte und dafür wäre Geschlechtsverkehr mit einem Mann von Nöten, also proklamierte sie viel lieber: "Ach Kind, ein bisschen bi schadet nie!"

Mit 15 dann stimmte ich ihr in gewisser Weise zu, hatte meinen ersten Freund und fand das nur so mittelmäßig gut, weil dieser bestimmte Erwartungen an mich als seine "Freundin" stellte. Und damit meine ich gar keine sexuellen Erwartungen - ich blieb jungfräulich. Ich meine die Geschlechterrolle, welche ich seiner Ansicht nach zu erfüllen hatte. Er würde mich beschützen und stolz überall vorzeigen und ich würde toll finden und machen, was Mädchen eben so toll finden und machen. Letzteres definiere ich jetzt nicht näher aus, denn das käme aktuell definitiv noch von keinem guten Ort.

Mein zweiter Freund hingegen war mindestens genauso gender-non-conforming wie ich zu jener Zeit und hatte gar keine Schwierigkeiten damit, mich als seinen Freund zu bezeichnen und mir sogar ganz klar zu zu sprechen "der Mann in der Beziehung" zu sein. Und verdammt - das fand ich so richtig richtig gut! Bis die Realität "moin" gesagt hat, an dem Abend als wir gemeinsam zum ersten Mal Sex haben wollten. Denn uppsi, er hatte einen Penis. Und schockierende Neuigkeit: ich nicht.
Schlussfolgerung daraus: absolute Überforderung, Trennung - ich kann das nicht!

Aber ab da konnte ich noch etwas anderes nicht mehr. Ich konnte nicht mehr mit mir selbst leben.

Ich zwang mich also in die Rolle, welche mein mir bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht zu implementieren schien und bemühte mich entgegen jeden besseren Wissens, als Frau zu leben. Ich setzte die Maske einer Cis-Hetero-Frau auf und begab mich in eine Abwärtsspirale, aus der ich ab der Schwangerschaft mit meinem Kind dann auch kein Entkommen mehr sah.

Ich sperrte mich selbst in eine Gefängniszelle, von der ich sicher war, ich hatte es verdient, dort drinnen zu sitzen. Ich internalisierte eine Transphobie mir selbst, nicht anderen, gegenüber und schmiss den Schlüssel zu dieser Gefängniszelle so weit es ging fort.

No more Queerness.

No more happiness...

Das war im letzten Jahr, als ich 29 war, 10 Jahre her. Und seitdem ist etwas geschehen.

Die Tür wurde geöffnet.

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