Mittwoch, 18. September 2019

Odyssee des Schmerzes

Machine Gun Kelly
live @ Docks, Hamburg, am 13ten September in der Prinzenbar

Lange haben mein bester Freund und ich hin und her überlegt, ob zu fahren so eine gute Idee sein würde. Es stand die Idee im Raum, einen Campingstuhl oder sogar einen Rollator mit zum Konzert zu nehmen. Doch wirklich überzeugt war er zumindest im Voraus nicht von der Idee, überhaupt zu fahren. Und verübeln kann ich es ihm nicht. Jedoch kennt er meinen Dickkopf nun schon ein Weilchen und es war ihm wohl klar, wenn ich schon bereit gewesen war, unseren für die letzte Woche geplanten Kopenhagen-Urlaub auf Grund meiner gesundheitlichen Situation auf unbestimmte Zeit, jedoch mindestens bis zum nächsten Jahr, auf Eis zu legen, dann würde ich nicht auch noch bereit sein, unseren Besuch des Machine Gun Kelly Konzertes abzusagen. Ich bin, was sowas angeht, ein verdammter Sturkopf.

Also setzte ich mich durch. Er bekam das Auto seines Mitbewohners geliehen, wir trafen uns bei den Jungs vor der Haustür und machten uns auf den Weg. Um die Autofahrt so angenehm wie möglich zu gestalten, hatte ich die bereits zu dem Zweck bewährte Wärmflasche mit und natürlich einiges an Proviant. Unter anderem zwei Flaschen Mate, denn ich bin süchtig nach dem Zeug, und zusätzlich noch allerhand Süßkram. Laut Google Maps würde uns vor Hamburg ein nicht unerheblicher Stau erwarten, also hatte ich vorgesorgt.
Die Autofahrt verlief jedoch super entspannt. Wir hatten freie Fahrt auf der A21, unterhielten uns ein wenig über Gott und die Welt, wie es so schön heißt, und mir rutschte kurz ein etwas unpassender Kosename, beginnend mit "Scha" heraus, wobei ich das A einfach unfassbar lang zog und dann so lange schwieg, bis es vergessen schien. Total bescheuert, ich weiß. Aber ansonsten verlief die Hinfahrt komplett Zwischenfalls frei und der Stau erwartete uns schlussendlich erst in Hamburg, und zwar fußläufig. Denn als wir auf der Suche nach einem geeigneten Parkplatz an den Docks vorbei fuhren und ich die Schlange für das Konzert erblickte, stockte mir für einen Moment der Atem. Die Schlange war lang. Verdammt lang!

Da die Parksituation rund um die Reeperbahn eher nicht so dolle ist, entschieden wir uns schließlich in ein nahe gelegenes Parkhaus zu fahren. Von dort waren es nur wenige Minuten zu Fuß bis zum Veranstaltungsort und wenigstens das Auto stand so warm und trocken. Wobei das Wetter am letzten Freitag tatsächlich ziemlich gut war, weshalb auch wir warm und trocken in der unendlich wirkenden Schlange aus Machine Gun Kelly Fans standen. Und die Schlange wuchs und wuchs, wir waren bei weitem nicht das Schlusslicht. Zugegeben, ich vertrieb mir die Zeit mit Schadenfreude den armen Leuten gegenüber, die noch nach uns dort ankamen. Auch der Hinweis von Hase, irgendwelche Gangstertypen lauthals auszulachen sei sicherlich nicht eine meiner besten Ideen, konnte mein Gekicher nicht vollends unterdrücken. Notfalls wäre ja auch genügend Polizei vor Ort gewesen. Und was hab ich momentan schon groß zu verlieren?

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten wir den Einlass und die Taschenkontrollen und nachdem 50% von uns, welche nicht ich waren, um die Ausweiskontrolle doch noch einmal herum kamen, da sie ihr Alter doch auch ohne die ewige Suche nach dem Portemonnaie glaubhaft machen konnten, waren wir endlich am Ziel angekommen. Einem ziemlich gut gefüllten Ziel. Die Konzerthalle selbst war bereits knüppeldicke voll und so suchten wir uns einen ruhigen Platz mit Stehtisch etwas außerhalb im hinteren Bereich. Mit meinen Rückenproblemchen erschien uns das so oder so nicht die schlechteste Idee. Wir kamen also erst einmal richtig an und sondierten die Lage. Hase schaute, wo man überall gut und einfach an Getränke käme und ich stratzte los auf der Suche nach dem Merchstand, welchen ich auch recht schnell fand.
Nach guten fünf Minuten Smalltalk mit einem der Mercher, ich kann es einfach nie lassen, und um ein Bandana bereichert, kehrte ich dann in unsere gemütliche kleine Ecke zurück. Bloß um festzustellen, dass vor uns zwei Zwei-Meter-Riesen aus dem Boden geschossen waren. Diese entpuppten sich allerdings als ziemlich nette, rücksichtsvolle Jungs, welche sich nicht nur ein Mal erkundigten, ob wir denn auch einen guten Blick auf die Bühne hätten. Die zwei waren trotz ihrer für Konzerte echt fiesen Größe eigentlich ziemlich töffte.

Um 20 Uhr startete der Abend dann pünktlich mit Opening Act Amazonica, einer DJane aus London. Bereits bei ihrem Liveset fiel es mir durchaus schwer, die Füße still zu halten und ich begann fröhlich zu tanzen. Stets unter den skeptischen Blicken meines besten Freundes. Doch die Krankengymnastin hatte gesagt, Tanzen wäre gut für mich, also tanzte ich. Still stehen war ehrlich gesagt vom Schmerzpegel her auch keine wirkliche Option. Das verriet ich Hase zu dem Zeitpunkt jedoch lieber nicht. Er wirkte so schon besorgt genug. Nicht nur ein Mal bat er mich darum, mich nicht so zu verausgaben, dass er mich am Ende zum Auto tragen müsste. Als ob ich das jemals zugelassen hätte. Er kennt mich. Eher wäre ich zum Auto zurück gekrochen!
Das Liveset von Amazonica bot uns jedenfalls eine ziemlich fette Mischung aus HipHop, Rock, Metal und Reggae und ich kam nicht umher immer wieder zu betonen, wie hammer cool ich diesen Mix doch fand und wie genial die Übergänge gestaltet waren. Und obwohl die Mehrzahl der Leute natürlich für Machine Gun Kelly dort war, wir ja auch, konnte ich nicht verstehen, wie bei diesem DJ-Set so viele Füße ruhig stehen bleiben konnten! Gut, dass nicht jeder so hart auf Manson, System of a Down, Papa Roach, AC/DC, Nirvana und Co abgehen würde wie ich, war wohl auf einem HipHop Konzert zu erwarten. Trotzdem schade, ihr Musikbanausen!
Immerhin wurde Amazonica mit einem wohl verdienten Applaus von der Bühne verabschiedet. Ein Umstand, den ein gewisser Herr, den ich sehr lieb habe, fast nicht mitbekommen hätte. Zum Glück hat er ja einen persönlichen Nervbolzen mit Live-Ticker Funktion aka Moi.

An dieser Stelle sei erwähnt, dass das Bühnenbild des Abends der helle Wahnsinn war. Schon bei Amazonica hatte man sich nicht lumpen lassen und das Logo der Künstlerin mit allerlei optischen Effekten unterlegt. Das versprach verdammt viel und Machine Gun Kelly übertrafen mit der eigenen Bühneninszenierung bei weitem alle Erwartungen, die wir hatten. Um es mit Hase zu sagen: "Anfangs dachte ich noch, mit Acid wär das alles sicher richtig nice. Am Ende hätte ich mich davor gefürchtet, Acid intus zu haben" und recht hatte er. Besser lässt sich das Ganze auch leider nicht beschreiben und ich werde gar nicht erst versuchen, es in Worte zu fassen.

Nach einer halbstündigen Umbaupause war es jedenfalls so weit: das Bühnenbild wurde reaktiviert, wir befanden uns auf einer animierten Straße, auf dem unteren Teil der Bühne war ein Taxi zu sehen und die Melodie von Sex Drive, dem Intro zum aktuellen Album Hotel Diablo ertönte. Während des Songs änderte sich mehrfach die LED-Projektion und schließlich erschien die Anweisung "Scream to Enter", welcher mindestens 1000 Fans liebend gern nachkamen. Ich fing dann wenige Sekunden später an zu quietschen, als die Band und zu guter letzt Colson die Bühne betraten. Holy Shit, der Mann ist heiß! Ich schäme mich nicht das zu sagen. Dünn, groß, muskulös - Träumchen! Zumindest für jemanden wie mich, der es eher hager und schlacksig mag. Verurteilt mich nicht.
Machine Gun Kelly spielten insgesamt ein mehr als anderthalb stündiges Set und ich war auf extrem vielen Ebenen beeindruckt. Sei es, weil der Gitarrist der Band sowohl mit seinen Zähnen als auch hinter dem Rücken spielen konnte und hammer gute Soli raus haute, oder weil Drummer Rooke sowohl seine Drumsticks drei Meter in die Höhe werfen und problemlos wieder fangen, als auch mit von Colson mit einem Bandana verbundenen Augen fehlerfrei weiter spielen konnte. Sucht es euch aus. Das sind ein paar verdammt talentierte Musiker!
Mein persönliches Highlight des Abends? Der gelungene Abstecher zur Verfilmung der Mötley Crüe Biographie The Dirt, in welcher Colson eine der Hauptrollen als the one and only Tommy f*cking Lee gespielt hat. Ja, ich bin Mötley Crüe Fan. Eigentlich hauptsächlich von Nikki, aber darum geht es ja jetzt auch nicht. Sondern es geht darum, dass Colson sich an die Drums gesetzt hat und ganz geschmeidig einen Ausschnitt aus Shout at the Devil, einem der bekanntesten Crüe Songs gespielt hat. Ich will nicht sagen, dass ich ausgeflippt bin, aber ich bin ausgeflippt vor Freude.
Ansonsten folgte am letzten Freitag in der Prinzenbar generell ein Sahnehäubchen dem anderen. Ob Habits, Lately, GTS, Let You Go, Bad Things oder auch 'Till I Die, die Klassiker kamen genauso wenig zu kurz wie die neuen Tracks von Hotel Diablo. Als kleines Zückerli folgte im Set auf Floor 13, wovon Hase mir ja nie glauben wollte, dass es sich um einen weiteren Disstrack gegen Eminem handelt, direkt Rap Devil. Danke, die Diskussion hätte ich damit auch endgültig gewonnen. Standpunkt erfolgreich unterstrichen. Und den aktuellen Hit I think I'm okay featuring Youngblud und Travis Barker gab es einfach mal direkt zwei Mal hintereinander auf die Ohren - zunächst in einer Album-, dann ich einer Solo-Version.

Ganz ehrlich, zu meckern gab es an diesem Konzertabend absolut gar nichts!
Tolle Fans, eine tolle Stimmung, eine wunderbare Bühnenshow, talentierte Musiker, Herzblut und Hingabe bildeten eine perfekte Einheit für ein unvergessliches Konzerterlebnis.

Ich war nach dem Ganzen so vom Hocker geblasen, dass mein Hirn anschließend bloß noch auf Sparflamme zu arbeiten bereit war. Kurzum: ich hab die Navigation von der Reeperbahn zurück auf die A21 gehörig verkackt. Aber wenigstens hab ich nicht Nickelback und Linkin Park verwechselt. Sorry, Hase, aber dir unterlaufen so selten gravierende Fehler, das darf nicht in Vergessenheit geraten. Ich hab dich trotzdem unendlich doll lieb! Dafür, dass ich darauf ein Weilchen rum geritten bin, wäre ich fast auf der Autobahn ausgesetzt worden. Das Risiko war es mir allerdings wert.

Zusammengefasst kann man sagen: das war der erste richtig gute Abend seit das mit meinem Rücken seinen Anfang genommen hat und ich bin unendlich dankbar dafür, dass wir diesen Ausflug gewagt haben! Auf unseren Urlaub mussten wir verzichten, aber wenigstens nicht hierauf.

Schmerzlich gesehen ging das Ganze sogar unerwartet gut vonstatten. Natürlich war ich während des Abends nicht schmerzfrei, doch das bin ich, wie ich inzwischen ja schon oft genug dargelegt habe, momentan eh nie. Aber durch die stete und doch begrenzte Bewegung beim Tanzen während des Konzerts, den kleinen Fußweg davor und danach und die Wärmflasche während zumindest einer der Autofahrten blieben die Schmerzen den gesamten Abend über auf einem gut erträglichen Level. Dazu muss gesagt sein: nur Stillstand ist wirkliches Gift für meine Wirbelsäule. Das heißt den ganzen Abend über zu sitzen oder still zu stehen wäre bei weitem schädlicher und schmerzhafter für mich gewesen. Somit habe ich mir mit diesem Konzert keinerlei zusätzlichen Schaden zugefügt. Und am Samstag und Sonntag habe ich natürlich nochmal ganz besonders darauf geachtet, durch meine Krankengymnastikübungen und den Gebrauch meiner Wärmflasche einen Ausgleich zum Freitag Abend zu schaffen.

Mir ist einfach wichtig, dass ich, bloß weil ich gerade ein akutes Rückenleiden zu bekämpfen habe, nicht komplett den Spaß am Leben verliere. Denn ich darf nicht vergessen, dass meine Psyche schon vor diesem Vorfall angegriffen war. Ich muss jetzt doppelt gut auf mich Acht geben und das ist nicht einfach...

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