Sonntag, 2. Juni 2019

Black Dog Story

Ich suche mir die Hilfe, die ich benötige
Es geht endlich in Therapie

Hoffentlich. Sicher ist mir der Therapieplatz noch nicht. Aber ich habe mich endlich auf die Suche begeben, dank der Hilfe und guten Zurede einer lieben Freundin. Denn gemeinsam geht es sich leichter durchs Leben und Dinge, die eventuell über Jahre beängstigend waren, werden erträglicher. Nicht einfach, ganz sicher nicht. Ich will nicht so tun als fiele mir die Therapieplatzsuche nun plötzlich leicht. Ganz sicher nicht. Bei Therapeuten anrufen? Ein Ding der Unmöglichkeit! Ich telefoniere nicht. Ja, ich weiß, ich arbeite in einem Callcenter und zu telefonieren ist mein Job. Aber das ist, so verrückt das klingen mag, etwas völlig anderes. Es gibt das private Ich und das berufliche Ich und die beiden sind in meinem Fall zwei sehr unterschiedliche Menschen. Eine Lücke, die ich zu schließen gedenke mit Hilfe der hoffentlich bald erfolgenden Therapie. Denn es ist sehr anstrengend zwei so komplett unterschiedliche Menschen in einem zu vereinen. Natürlich ist es ganz normal, dass wir in unserem Privatleben nicht ganz der Mensch sind, der wir in unserem Job sind. Doch sind diese zwei Personen zu gegensätzlich veranlagt, dann zehrt das immens an den eigenen Energiereserven. Wir verausgaben uns dann bei etwas, für das es zwar in Ordnung ist, Energie aufzuwenden, jedoch nicht so viel davon, dass genau das einer der Hauptgründe ist, warum wir abends völlig erschöpft ins Bett fallen. Denn es kann zwar wundervoll sein, sich abends erschöpft hinzulegen und direkt einem erholsamen Schlaf hinzugeben - aber eben nur wenn es eine befriedigte Art der Erschöpfung ist, die uns zufrieden zurücklässt. Doch das ist diese Art der Erschöpfung eben nicht. Es ist viel mehr die Kategorie Erschöpfung, die uns aussaugt und als leere Hülle zurücklässt, welche Schwierigkeiten verspürt, zur Ruhe zu kommen und uns abends, so ausgelaugt wir auch sein mögen, oftmals noch stundenlang wach im Bett liegen und grübeln lässt, warum uns nicht gelingen mag, was anderen so leicht von der Hand zu gehen scheint: ein geregeltes und erfülltes Leben zu leben.
Mir ist natürlich klar, dass kein Leben perfekt ist. Jeder muss ab und zu eine Fassade der Scheinheiligkeit errichten, wenn es darum geht, das eigene Leben vollkommen wirken zu lassen. Und ich denke oft, dass es unserer Gesellschaft gut täte, wir würden offener über unsere schlechten Tage und Momente kommunizieren. Einfach mal nicht auf jedes "Wie geht es Dir?" mit dem standardisierten "Gut und selbst?" antworten, sondern ganz offen und ehrlich sagen: "Weisst Du, momentan fühle ich mich ziemlich überfordert mit meinem Leben. Irgendwie ist der Wurm drin und manches bereitet mir Sorgen." Ich denke, damit wäre vielen geholfen und die Distanz, welche sich in der heutigen Zeit fast wie selbstverständlich in unser zwischenmenschliches Leben geschlichen hat, würde wie natürlich abgebaut. Man käme sich wieder näher und Schwächen würden zu Stärken.
Nicht selten träume ich von einer solchen Welt. Einer Welt, in der es okay ist, dass ich depressiv bin. Einer Welt, die mich auch an meinen schlechtesten Tagen nicht verurteilt. Eine Welt in der ich, allen Dingen voran, keine Angst davor haben muss verurteilt oder, was manchmal noch viel schlimmer ist, verspottet zu werden. Erst kürzlich wieder meinte ein Arbeitskollege, ich solle mich doch mal lieber aus dem Bett und unter Leute bewegen, statt wieder ständig so eine "Deprischeiße" zu reden. Danke für den Hinweis, Sherlock. Es ist nicht so, dass ich das nicht gerne tun würde. Himmel, was gäbe ich dafür, jeden Tag problemlos mein Bett verlassen zu können, nur positiven Gedankenmustern zu folgen und die Welt und ihre Schönheit mit vollen Atemzügen zu genießen und das Leben lachend zu begrüßen und zu umarmen und zu lieben. Ich würde an manchen Tagen wortwörtlich mein Leben geben, um ein solcher Mensch sein zu können. Und genau deshalb wage ich nun endlich, allen Ängsten vor Identitätsverlust und Ablehnung zum Trotz den Schritt hin zur ambulanten Therapie. Etwas, wovor ich mich sehr sehr lange gedrückt habe, weil ich mir jahrelang eingeredet habe, doch auch ohne ganz gut klar zu kommen und immer der Meinung war, es seien bloß die anderen, die das für mich wollen. Wie zB meine Mutter, die egal mit was ich hilfesuchend zu ihr kam in den letzten Jahren immer nur eine Antwort für mich hatte: "Such dir einen Psychologen, ich kann Dir nicht helfen", eine Antwort, die mich immer wieder verletzt hat und dafür gesorgt hat, dass ich mich meiner eigenen Mutter heute nicht mehr anvertraue und sie meide, als einen Menschen, der mich aufgegeben zu haben scheint und seit Jahren bloß noch von sich weist und in die Obhut anderer geben will. Mich selbst davon zu überzeugen, dass ich die hoffentlich bald anstehende Therapie nicht für meine Mutter oder einen anderen Menschen, sondern einzig und allein für mich und eine nachhaltige Verbesserung meines eigenen Lebens machen werde, das hat mich lange Zeit gekostet und war vielleicht einer der schwierigsten Gedankenprozesse meines bisherigen Lebens.
Ironischerweise ist derselbe Arbeitskollege, welcher mir letztens noch meine "Deprischeiße" vorhielt, nun derjenige, welcher meinen Entschluss in eine ambulante Therapie zu gehen am schärfsten kritisiert und am meisten belächelt. Ganz ehrlich, er ist nicht einfach nur ein Arbeitskollege gewesen. Wir waren Ende letzten Jahres eine Weile so etwas wie ein Paar. Naja, ich war seine Liebschaft neben seiner eigentlichen Beziehung, welche angeblich offen und polyamourös gelebt wurde. Ich glaube inzwischen, seine Freundin sah das immer ein wenig anders und er ist einfach ein ziemliches Arschloch. Okay, vielleicht kein Arschloch, aber ein elendiger Egozentriker, dem andere Menschen doch ziemlich egal sind und der alles nieder machen muss, fast schon zwanghaft, was nicht in sein eigenes Weltbild passt. Er hat mich gelehrt, dass ich es nicht zu ertragen brauche, von einem Menschen, dem ich vertraue, ständig hängen gelassen zu werden. Weshalb ich ihn eigenhändig wieder zu meinem Arbeitskollegen und nichts anderem erklärt habe. Ein Schritt, der super viel Mut erfordert hat, aber mir schlussendlich wieder Luft zum Atmen gegeben hat. Und wenn ich nun merke, wie wenig er mich noch immer unterstützt, obwohl er versucht, wieder einen anderen Anteil in meinem Leben zu erlangen als nur den des Arbeitskollegen, dann bin ich froh, dass ich mich aus meiner emotionalen Abhängigkeit ihm gegenüber habe lösen können und in der Lage bin, anstatt mich ihm einfach wieder hinzugeben, zu sagen: nein danke, Du tust mir auf einer sehr emotionalen Ebene nicht gut!
Er war tatsächlich letztens zu Besuch und hat mich geküsst und ich habe nichts mehr dabei gefühlt. Stattdessen war ich am Handy, habe mit meinem besten Freund kommuniziert und war mehr an dessen WG-Leben interessiert als an dem Menschen, der dort direkt neben mir in meinem Bett lag und erneut die Nähe zu mir gesucht hat. Daher muss ich fairerweise sagen: auch ich wäre inzwischen nicht mehr gut für ihn, da ich ihn nicht mehr so wertschätzen kann, wie ich es vor unserem Zerwürfnis wie selbstverständlich gekonnt habe.
Warum dieser kleine Exkurs in mein Privatleben? Ganz einfach: es ist eine wichtige Lektion in allen Lebensbereichen zu erkennen, dass wir von Dingen und aber auch insbesondere Menschen, die uns nicht gut tun und uns nicht zu fördern vermögen, Abstand nehmen können, dürfen und manchmal auch müssen - egal in welchem Verhältnis wir zu diesen Leuten stehen. Ganz ohne diesen Menschen schlechtes zu wollen. Im Gegenteil, ich bin inzwischen zu der Überzeugung gekommen, man tut beiden Seiten einen Gefallen damit - manch einer mag nur länger brauchen, ebenfalls zu dieser Erkenntnis zu kommen. Denn so schmerzhaft es auch sein mag, einen Lebensabschnittsbegleiter zu verlieren, hinter allem steckt irgendein Sinn und was am aller aller wichtigsten ist und ich bin so unendlich dankbar, das trotz meiner Depressionen und dank meiner wirklich lieben Freunde und Bekannten erkennen zu können: Das Leben geht immer weiter!

Für mich dann bald hoffentlich mit ein wenig professioneller Unterstützung.

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